ROSAT – das Ende eines außergewöhnlichen Satelliten

(1.Juni 1990 – 23. Oktober 2011)

14. November 2011
Am frühen Morgen des 23.Oktober 2011, gegen 4 Uhr MESZ, stürzte der Forschungssatellit ROSAT aus seiner Umlaufbahn auf die Erde zurück und versank spurlos in den Weiten des Indischen Ozeans. Damit fand eine der erfolgreichsten Satellitenmissionen der Röntgenastronomie ihr endgültiges Ende. Das Röntgenobservatorium ROSAT entdeckte im Laufe seiner acht Jahre dauernden, aktiven Beobachtungszeit über 150 000 größtenteils unbekannte Röntgenquellen, etwa 4000 Wissenschaftlern aus 24 Ländern nutzten seine Daten für über 4200 Artikel in referierten Fachzeitschriften, die mehr als 140 000 Mal zitiert wurden.

Angefangen hatte alles Mitte der 1970er Jahre, als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) dem deutschen Wissenschaftsministerium ein großes Röntgenteleskop auf einem Satelliten vorschlugen. Schon bald wurde das ROSAT-Projekt um internationale Partner erweitert, die wissenschaftliche Leitung des Projekts verblieb aber vom Anfang bis zum Ende am MPE; für das Institut war dieses Projekt einer der größten Erfolge in seiner fast fünfzig-jährigen Geschichte.

 

Erste vollständige Himmelsdurchmusterung im Röntgenbereich

 

Schon mit seiner ersten Mission, der ersten Kartographierung des Röntgenhimmels mit Hilfe eines abbildenden Röntgenteleskops, übertraf ROSAT die in ihn gesetzten Erwartungen: im Laufe eines halben Jahres wurden etwa 100 000 Röntgenquellen entdeckt. Das waren über 100 Mal mehr Quellen als von zwei früheren Himmelsdurchmusterungen: die „Sky surveys“ des legendären Uhuru-Satelliten und des High Energy Astronomy Observatory 1 (HEAO-1) hatten insgesamt in den 1970er Jahren etwa 850 Quellen erbracht. Das zweite Teleskop an Bord von ROSAT, das für den extremen UV-Bereich ausgelegt war, lieferte außerdem die erste Durchmusterung in diesem Wellenlängenbereich überhaupt, und fand 477 Quellen.

 

Anschließend folgten acht Jahre lang Detailbeobachtungen an ausgewählten Objekten, sieben Jahre mehr als ursprünglich geplant. Dabei beobachtete ROSAT sowohl nahe Objekte in unserem Sonnensystem, Sterne und Gas in unserer Milchstraße als auch entfernte Objekte in anderen Galaxien und fand immer wieder Überraschendes.

 

ROSAT lieferte das erste Röntgenbild des Mondes und entdeckte die Röntgenemission von Kometen. Dies war zunächst ein Rätsel für viele Astrophysiker, galten Kometen doch als „Schmutzige Schneebälle“, also kalte Objekte. Für die Emission von Röntgenstrahlung sind aber entweder hohe Temperaturen (Millionen Grad) oder sehr hochenergetische Elektronen nötig. Die Wissenschaftler fanden schließlich heraus, dass die Kometen die Röntgenstrahlung nicht selbst erzeugen, sondern durch Interaktion mit dem Sonnenwind zum Leuchten angeregt werden.

 

Sterne im Röntgenlicht

 

Zur Röntgenemission von Sternen lieferte ROSAT die erste vollständige Übersicht, von den kühlsten und masseärmsten Geschwistern der Sonne bis zu den Überriesen. Außerdem konnte mit ROSAT zum ersten Mal Röntgenemission von gerade neu gebildeten Sternen, den T Tauri-Sternen, detektiert werden. Eine besonders wichtige Domäne der Röntgenastronomie sind allerdings die kompakten Endzustände der Sternentwicklung, Weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarzen Löcher, sowie die Supernova-Explosionswolken (SNR).

 

Mit dem Röntgenteleskop wurden in unseren Nachbargalaxien, der Großen und der Kleinen Magellan’schen Wolke, ganz besondere Doppelsternsysteme – sogenannte „Superweiche Röntgenquellen“ entdeckt: vom Begleitstern geht Wasserstoff auf den Weißen Zwerg über, der dann auf der Oberfläche des Weißen Zwerges durch Kernfusion verbrannt wird. Hier bietet sich die einmalige Gelegenheit die Kernfusion, die bei normalen Sternen im Inneren verborgen ist, direkt zu beobachten.

 

Besonders viele Erstentdeckungen konnten die Wissenschaftler bei Neutronensternen machen, wie die Röntgenemission von Millisekundenpulsaren und von zahlreichen, vorher unbekannten Neutronensternen in Supernova-Explosionswolken. ROSAT entdeckte auch erstmals Neutronensterne, die praktisch rein thermische Strahlung abstrahlen, bei denen man also direkt die heiße Oberfläche dieser winzigen Sterne (mit einem Durchmesser von etwa 25 km) sieht. Mit Materiedichten von einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter und Magnetfelder von Billionen Gauß sind Neutronensterne die extremsten „Sternleichen“, die man direkt beobachten kann.

 

Zahlreiche Supernova-Überreste wurden mit ROSAT entdeckt. Dank der Durchmusterung konnten einige sehr große Gebilde, wie der „Monogem-Ring“ mit mehr als 20 Grad Durchmesser oder der noch größere „Nordpolar-Sporn“, zum ersten Mal kartographiert werden. Beim Vela-Supernovaüberrest wurden außerhalb der expandierenden Stoßfront Strukturen entdeckt, die darauf hindeuten, dass bei der Sternexplosion größere kompakte Trümmer ausgestoßen werden. Außerdem zeigte sich vor Vela eine weitere, bis dahin unbekannte Supernova-Wolke („Vela-Junior“).

 

Supernova-Explosionen sind aber nicht nur an und für sich interessant, sie heizen auch das interstellare Medium. Mit ROSAT konnten die Wissenschaftler wichtige neue Einblicke in die Verteilung von heißem (~ 1 Mio Kelvin) und kaltem (~100-10.000 Kelvin) Gas in der Milchstraße und in nahen Galaxien gewinnen. Außerdem wurde die Dichte des interstellaren Staubs genau bestimmt, der die Röntgenstrahlung streut und zur Ausbildung von Halos bei hellen Röntgenquellen führt.

 

Die heißen Zentren von Galaxien und Galaxienhaufen

 

Im Andromedanebel, einer „nahen“ Galaxie in 2 Millionen Lichtjahren Entfernung, entdeckte ROSAT 396 Röntgenquellen, mehr als der Uhuru-Satellit seinerzeit in unserer Milchstraße aufspürte. Mit ROSAT konnte auch erstmals ein Strahlungsausbruch im Zentrum einer normalen, nichtaktiven Galaxie beobachtet werden, der wahrscheinlich dadurch hervorgerufen wurde, dass das zentrale Schwarze Loch einen Stern zermalmt und schluckt.

 

Ein weiteres, wichtiges Thema waren Galaxienhaufen, die größten physikalischen Strukturen im Universum. Neben Hunderten oder Tausenden von Galaxien erhalten diese Haufen auch ein sehr heißes Plasma von etwa 100 Millionen Kelvin, das für die Strahlung im Röntgenbereich verantwortlich ist. Beobachtungen am Perseushaufen zeigten, dass die Aktivität des zentralen Schwarzen Loches Blasen in dem umgebenden, heißen Plasma schafft. Analysen des heißen Gases zeigten auch, dass der Löwenanteil der Materie (~70%) in Galaxienhaufen aus Dunkler Materie besteht. Etwa 25 % der Materie stecken im heißen Plasma und nur wenige Prozent in den Sternen der im Haufen versammelten Galaxien. Weitere, synoptische Studien an Galaxienhaufen erlaubten es den Wissenschaftler, die kosmologisch relevante, mittlere Dichte der normalen und dunklen Materie zu bestimmen. Beide Materieformen zusammen machen nur etwa 30% der Dichte aus, die nötig wäre, um die Ausdehnung des Universums zu stoppen.

 

Das größte Kontingent der ROSAT-Quellen, etwa die Hälfte, stellen Quasare und andere aktive Galaxienkerne dar, die aufgrund ihrer enormen Leuchtkraft bis in große Entfernungen beobachtet werden können. Durch sehr lange, „tiefe“ ROSAT-Beobachtungen konnten die Wissenschaftler beweisen, dass diese Quellen mindestens 80% der Kosmischen Hintergrundsstrahlung im Röntgenbereich liefern. Damit wurde die Frage nach dem Ursprung dieser Strahlung beantwortet, die seit der historischen Beobachtung 1972 von Giacconi et al. (Physik-Nobelpreis 2002) offen war.

 

Wie groß die wissenschaftliche Ausbeute von ROSAT war, lässt sich an der Zahl der

Publikationen ablesen: In referierten Zeitschriften erschienen bis Oktober 2011 etwa 4600Arbeiten, die mehr als 140 000 Mal zitiert wurden. Mit diesen Zahlen rangiert ROSAT unter mehr als 30 Röntgensatelliten an zweiter Stelle hinter dem Chandra-Observatorium der NASA und gleichauf mit dem XMM-Newton-Teleskop der ESA, die beide 1999, kurz nach dem Ende der ROSAT-Mission, gestartet wurden.

Weitere Informationen:

Entwicklung und Betrieb von ROSAT

Das Hauptinstrument des Röntgenobservatoriums ROSAT war ein Wolterteleskop mit drei Röntgen-Bilddetektoren auf einem Karussell, die wechselseitig in den Fokus gebracht werden konnten. Das damals größte Wolter-Spiegelsystem wurde nach den Spezifikationen des MPE von Carl Zeiss  gebaut. Der Test der Spiegel sowie die Kalibration des ganzen Teleskops erfolgten in der Testanlage "Panter" des MPE,  das auch die Entwicklung und den Bau der Fokalinstrumentierung mit dem Karussell und seinen zwei abbildenden Proportionalzählern übernahm. Das dritte Fokalinstrument, der hochauflösende Channel Plate Detector kam vom Smithsonian Center for Astrophysics der Harvard University. Ein zweites kleineres Wolterteleskop  für den extremen UV-Bereich wurde von der University of Leicester entwickelt und beigestellt. Der Bau des Satelliten erfolgte bei Dornier und der des komplizierten Lageregelungs-und Meßsystems bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (heute beide in der EADS vereint).

Das Wolter-Spiegelsystem von  Carl Zeiss  stand lange Zeit im Guiness-Buch der Rekorde, weil es die bis dahin genauesten Spiegel mit einer Mikrorauhigkeit von nur 0.4 Nanometern besaß. Umgerechnet auf die Ausdehnung des Bodensees (60 km im Vergleich zu 3 m bei einem Röntgenspiegel) entspräche diese Genauigkeit einer Wellenhöhe von nur 0,008 Millimetern.

Am 1. Juni 1990 wurde ROSAT mit einer Delta-Rakete der NASA von Cape Canaveral aus gestartet und in eine Erdumlaufbahn auf ca. 580 km Höhe gebracht. Das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) war für das Projektmanagement zuständig; das Satellitenkontrollzentrum der DLR in Oberpfaffenhofen (GSOC) übernahm die Kontrolle und Steuerung des Satelliten. Bereits zwei Wochen nach dem Start konnten die Wissenschaftler enthusiastisch das „First Light“ feiern. Die zeitoptimierte Abfolge des Beobachtungsprogramms wurde vom MPE erstellt, das zusammen mit den Partnern in den USA und England die Auswahl der Beobachtungsvorschläge durch wissenschaftliche Komitees organisierte.

Während des ersten halbes Jahres lieferte ROSAT die erste Kartographierung des Röntgenhimmels mit Hilfe eines abbildenden Röntgenteleskops und entdeckte dabei etwa 100 000 Röntgenquellen. Anschließend folgten nicht nur die geplanten 12 Monate, sondern fast acht Jahre lang Detailbeobachtungen, bis der Ausfall eines Sternsensors 1998 schließlich dazu führte, dass das Teleskop zur Sonne hin schaute und dabei beschädigt wurde. Die letzte reguläre astronomische Beobachtung fand am 17. Dezember 1998 statt. Am 12. Februar 1999 musste ROSAT endgültig aufgegeben werden.

Am Sonntag 23. Oktober 2011 in der Zeit zwischen 3.45 Uhr und 4.15 Uhr MESZ (1.45 - 2.15 UTC) trat der Satellit ROSAT schließlich wieder in die Erdatmosphäre ein. Teile davon könnten in den Indischen Ozean gestürzt sein, eine Bestätigung dafür gibt es aber nicht.

 

Weitere Informationen, insbesondere auch Bilder der Instrumente und vieler Röntgenquellen finden sich auf den Webseiten des MPE:  http://www.mpe.mpg.de/xray/wave/rosat/mission/rosat/index.php?lang=de

 

Eine detaillierte Diskussion der astrophysikalischen Ergebnisse enthält das Buch „The Universe in X-rays“ (Herausgeber J. E. Trümper und Günther Hasinger, Springerverlag 2007).

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht