Herschel trifft Kleinplanet - Eine Begegnung der schnellen Art

16. November 2011
So nah, so schnell und so klein war bisher noch kein Objekt, das von Herschel beobachtet wurde. Und eigentlich sind solche Beobachtungen aus technischer Sicht auch gar nicht möglich, da der Kleinplanet 2005 YU55 sich mit einer viel zu großen Geschwindigkeit am Himmel bewegt und Herschel nicht darauf ausgelegt ist, ihm zu folgen. Durch einen einfachen Trick gelang es Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und am European Space Astronomy Centre in Spanien nun dennoch ein spektakulärer Blick auf diesen Kleinplaneten, kurz nachdem dieser die Mondbahn gekreuzt hatte. Mit diesen Beobachtungen konnten die Astronomen einige physikalische und thermische Kenngrößen ermitteln. So stellte sich unter anderem heraus, dass 2005 YU55 kleiner ist, als bisher angenommen, und wahrscheinlich nur aus einer losen Ansammlung von Geröll besteht.

Der Kleinplanet (oder Asteroid) 2005 YU55 wurde im Dezember 2005 zum ersten Mal entdeckt – daher seine Bezeichnung – und kreuzte am 9. November um 00:28Uhr MEZ die Umlaufbahn des Mondes um die Erde. Dabei flog er an der Erde in einer Entfernung von 324,600 km (das 0,85-fache der Entfernung Erde-Mond) vorbei. Die Beobachtungen mit Herschel fanden erst einen Tag danach aus einer sicheren Entfernung von ca. 805.000 km statt. (Siehe Anm. 1)

 

Da Herschel dem schnell bewegten Objekt nicht folgen kann, wurde für eine exakt vorausberechnete kleine Region am Himmel zu einem ebenfalls exakt vorausberechneten Zeitpunkt eine Standardbeobachtung durchgeführt. 2005 YU55 raste - wie berechnet - mitten durch das Beobachtungsgebiet. (Siehe Anm. 2) Mit Hilfe einer speziellen Datenreduktion konnten dann die mehr als 3500 Einzelbilder aus den zwei vier-minütigen Messungen alle auf dem Objekt zentriert werden, so dass der Kleinplanet als perfekt fokussierte Quelle in allen drei Frequenzkanälen erscheint (siehe das rekonstruierte Bild für 70 Mikrometer in Abb. 1).

 

Dies war nur möglich, da das für diese Messungen eingesetzte PACS-Instrument unter der Federführung des MPE entwickelt und gebaut wurde und die Wissenschaftler somit über genaue Kenntnisse der Möglichkeiten mit diesem extrem leistungsfähigen Instrument verfügen. Aus den ermittelten Infrarothelligkeiten bei Wellenlängen von 70, 100 und 160 Mikrometern konnten dann mehrere Eigenschaften des Kleinplaneten ermittelt werden.

 

Zwar ist 2005 YU55 das bisher kleinste Objekt, das von Herschel beobachtet wurde, aber unter den Asteroiden mit nahen Erdbegegnungen gehört er zu den größten. Überaschenderweise zeigten die jetzigen Messungen aber, dass 2005 YU55 deutlich kleiner sein muss, als bisher angenommen, je nach Drehrichtung ergeben sich Durchmesser von ca. 310 m (retrograd) oder 340 m (prograd). Auf alle Fälle aber kann der Kleinplanet nicht so groß sein, wie die Radar-Messungen der NASA im letzten Jahr ergeben hatten: Bei einer Größe von ca. 400 m hätte Herschel einen deutlich größeren Fluss messen müssen.

 

Aus den Infrarotbeobachtungen konnten die Wissenschaftler auch die Albedo (ca. 6%) bestimmen, d.h. dass 2005 YU55 extrem dunkel ist und nur 6% des Lichts der Sonne reflektiert, der Rest wird in Wärme umgewandelt und im Infraroten emittiert. Das könnte auf eine Oberfläche aus kohlenstoffhaltigen Materialen hindeuten, was zu früheren Messungen passt, aufgrund derer 2005 YU55 als C-Typ (sehr dunkle, kohlenstoffhaltige Oberfläche) klassifiziert wurde. Etwa 75% aller Kleinplaneten gehören diesem Typ an.

Die ebenfalls abgeleitete thermische Trägheit hat noch eine recht große Unsicherheit, deutet aber auf eine Oberflächenbeschaffenheit wie bei dem Asteroiden Itokawa hin. Bei der japanischen Satellitenmission Hayabusa wurde Itokawa als fliegender Schutthaufen, bestehend aus lose aneinanderhängenden Gesteinsbrocken, charakterisiert. Es ist also wahrscheinlich, dass auch 2005 YU55 eine fliegende Geröllhalde ist.

 

Mit Hilfe der Herschel-Ergebnisse lassen sich auch die Bahnberechnungen für 2005 YU55 deutlich verbessern. (Siehe Anm. 3) Für die Erde stellt der Kleinplanet keine Gefahr dar, zumindest innerhalb des vorhersagbaren Zeitraums von einigen Jahrzehnten. 2029 wird es eine ähnlich nahe Begegnung (0.0023 AU, 340,000 km) mit Venus geben, danach sind die Vorhersagen für die Bahn schon unsicherer. Es ist recht unwahrscheinlich, dass 2005 YU55 danach noch einmal die Mondbahn kreuzt. (Siehe Anm. 4)

 

Unabhängig vom endgültigen Schicksal des Kleinplaneten, sind jetzt zumindest die physikalischen und thermischen Kenngrössen von 2005 YU55 zum ersten Mal ermittelt worden und lassen uns beruhigt in die Zukunft schauen.

 

 

Anmerkungen:

1. Herschel befindet sich in einer Umlaufbahn um den sogenannten Lagrangepunkt L2, ca. 1,5 Millionen Kilometer außerhalb der Erdbahn. Die Blickrichtung zur Sonne und Erde ist absolut tabu für Herschel. 2005 YU55 konnte deshalb erst einen Tag nach dem Erdvorbeiflug in einem sicheren Abstand von mehr als 60 Grad von der Sonne beobachtet werden.

 

2. Die Planung der Messungen und die Datenreduktion erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den Spezialisten für die Missionsplanung und der PACS Datenreduktion bei der ESA (ESAC, Spanien).

 

3. Die physikalischen und thermischen Eigenschaften des Objekts müssen bei der Berechnung der nicht-gravitativen Kräfte berücksichtigt werden, um eine möglichst hohe Präzision für die Bahnvorhersage zu erreichen.

 

4. Träfe aber ein Objekt dieser Größe die Erde, würde ein Krater von einigen Kilometer Durchmesser und mehreren Hundert Metern Tiefe entstehen; falls es kein kompaktes Objekt ist sondern nur eine lose Zusammenballung von Schutt, so könnte es eventuell auch viele kleinere Krater geben. Weitaus problematischer als der Einschlagkrater wären aber die daraus resultierenden Erdbeben, Tsunamis und enormen Staubeinträge in die Atmosphäre mit langjährigen globalen Auswirkungen.

Weitere Informationen:

Wikipedia-Seite zu 2005 YU55:

http://de.wikipedia.org/wiki/2005_YU55

 

Radarbeobachtungen der NASA:

http://echo.jpl.nasa.gov/asteroids/2005YU55/2005YU55_planning.html


letzte Änderung 2011-11-17 durch H. Steinle

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