Das Alter von stellaren Kinderstuben

17. November 2014
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereichs 956 „Bedingungen und Auswirkungen der Sternentstehung“ an der Universität zu Köln hat Beobachtungsdaten vom GREAT-Empfänger an Bord des Flugzeug-Observatoriums SOFIA sowie vom APEX-Teleskop in Chile dazu verwendet, das Alter eines Sternentstehungsgebiets in einer interstellaren Wolke genau zu bestimmen. Im Zentrum der Wolke entsteht eine Gruppe von sonnenähnlichen Sternen. Das Resultat, zu dem auch Wissenschaftler von der Universität Helsinki sowie der beiden Max-Planck-Institute für Radioastronomie (Bonn) und für extraterrestrische Physik (Garching) beigetragen haben, wird in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht. 

Sterne wie unsere Sonne und ihre Planetensysteme bilden sich im Inneren von Wolken aus Gas und Staub in unserer Milchstraße, den Kinderstuben für die Entstehung neuer Sterne. Die Entwicklung eines neuen Sterns beginnt mit der Kontraktion von bereits verdichtetem Material im Inneren der Wolke bis zur Bildung eines embryonalen so genannten Protosterns. Wie diese Entwicklung genau abläuft, und auf welcher Zeitskala sich der Kollaps zu einem Protostern ereignet, ist nicht genau bekannt. Strömt das Gas aufgrund der Schwerkraft im freien Fall Richtung Zentrum oder wird der Kollaps durch bestimmte Faktoren verlangsamt? „Da diese Entwicklung wesentlich mehr Zeit braucht als die gesamte Geschichte der Menschheit, können wir sie nicht über den gesamten Ablauf hin verfolgen“, sagt Sandra Brünken von der Universität zu Köln, die Erstautorin der Studie. „Statt dessen benötigen wir eine innere Uhr, um das Alter der jeweiligen Sternentstehungsregion bestimmen zu können.“  

Das Wasserstoffmolekül (H2), das mit Abstand häufigste Molekül im Weltraum, könnte als eine Art „chemische“ innere Uhr dienen. Molekularer Wasserstoff tritt in zwei unterschiedlichen Formen auf, die als ortho- und para-Wasserstoff bezeichnet werden und sich durch die unterschiedliche Orientierung der Spins der beiden Wasserstoffkerne unterscheiden. In den dichten und kalten Molekülwolken, aus denen sich Sterne bilden, ändert sich die relative Häufigkeit der beiden Formen stetig mit der Zeit aufgrund von chemischen Austausch-Reaktionen. Deshalb kann das gemessene Häufigkeitsverhältnis als Maß dafür genommen werden, wieviel Zeit seit der Entstehung der Wasserstoffmoleküle, und damit auch der Molekülwolke selbst, verstrichen ist. Leider ist es nicht möglich, H2 direkt in den sehr kalten interstellaren Brutstätten neuer Sterne nachzuweisen. Stattdessen kann aber die ionisierte Variante H2D+ beobachtet werden, bei der ein Deuterium-Kern (schweres Wasserstoff-Isotop) an das H2-Molekül angebunden ist. Tatsächlich emittieren und absorbieren die beiden ortho- und para-Formen von H2D+ Strahlung bei bestimmten charakteristischen Wellenlängen, wobei diese Spektrallinien mit unterschiedlichen Teleskopen nachgewiesen werden können.

Diese astronomischen Beobachtungen stellten eine große Herausforderung dar. Die entscheidende Spektrallinie des para-H2D+ liegt im Ferninfraroten bei einer Wellenlänge von 219 µm, bei der die Erdatmosphäre die eintretende Strahlung nahezu komplett verschluckt. Für die Beobachtungen nutzten die Astronomen deshalb zwei sehr spezielle Teleskope: zum einen das GREAT-Instrument an Bord von SOFIA, einer umgebauten Boeing 747, mit einem 2,7 m großen Teleskop, das in Höhen von bis zu 14 km fliegen kann; zum anderen das APEX-Teleskop, das in 5100 m Höhe in den chilenischen Anden steht. Das Alter der hier untersuchten Sternentstehungsregion, die sich im Sternbild Ophiuchus (Schlangenträger) in ca. 400 Lichtjahren Entfernung befindet, wurde dadurch bestimmt, dass die beobachteten Spektraldaten von beiden Teleskopen mit detaillierten Computersimulationen zur zeitlichen Entwicklung der Chemie verglichen wurden.

Diese Modelle müssen nicht nur eine große Anzahl von chemischen Reaktionen berücksichtigen, sondern auch die Spinorientierung jedes der Protonen. Außerdem wurde die physikalische Struktur des beobachteten Objekts modelliert, und in das chemische Modell eingebaut. Seit dem ersten Nachweis eines starken H2D+-Signals von einem prästellaren Kern im Jahr 2003 (von Caselli et al.), können die Astrophysiker mit Messungen im Labor und verbesserten chemischen Modelle, die Vorgänge in diesen Wolken enthüllen. "Die Chemie in diesen prästellaren Kernen ist komplex, basiert aber auf festen Regeln der Quantenchemie", betont Olli Sipilä, der jetzt am neuen Zentrum für astrochemischen Studien (CAS) am MPE arbeitet. "In den vergangenen Jahren haben wir alle relevanten Reaktionen für die Chemie mit Spinzuständen eingebaut. Diese können uns das Alter einer Wolke verraten, wenn ihre physische Struktur bekannt ist."

Ein Vergleich der H2D+-Daten mit diesen Modellen zeigte nun, dass dieses Molekül in der Tat ein genauerer Indikator für die sehr frühen Phasen der Entwicklung in der Wolke hin zur Sternentstehung ist als bisher verwendeten Moleküle. Insbesondere läuft diese "chemische Uhr" weiter, wenn andere stehen bleiben, und zeigt so, dass die dichten Wolkenkerne, in denen Sterne entstehen, mindestens eine Million Jahre alt sind.

"Dieses Ergebnis favorisiert diejenigen Theorien zur Sternentstehung, bei denen die Molekülwolken eher langlebig sind und eine quasi-statische Kontraktion durchlaufen", erklärt Paola Caselli, Leiterin der CAS-Gruppe am MPE. "Die Daten passen nicht zu schnellen Arten der Sternentstehung, bei denen der Kollaps im freien Fall – also sehr viel schneller – stattfindet." Dies zeigt, dass der beobachtete dichte Kern, in dem sich bereits eine kleine Gruppe von sonnenähnlichen Protosternen gebildet hat, eine recht lange Zeit überlebte.

Hintergrundinformationen:

SOFIA, das "Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie", ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und der National Aeronautics and Space Administration (NASA). Es wird auf Veranlassung des DLR mit Mitteln des Bundes (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), des Landes Baden-Württemberg und der Universität Stuttgart durchgeführt. Der wissenschaftliche Betrieb wird auf deutscher Seite vom Deutschen SOFIA-Institut (DSI) der Universität Stuttgart koordiniert, auf amerikanischer Seite von der Universities Space Research Association (USRA).

Deutsches SOFIA Institut: http://www.dsi.uni-stuttgart.de

GREAT, der "German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies", ist ein Empfänger für spektroskopische Ferninfrarot-Beobachtungen in einem Frequenzbereich von 1,25 bis 5 Terahertz (60-240 µm Wellenlänge), der von bodengebundenen Observatorien aus wegen der mangelnden atmosphärischen Transparenz nicht mehr zugänglich ist. Dieser Empfänger kommt als Instrument der ersten Generation am Flugzeug-Observatorium SOFIA zum Einsatz. GREAT wird in einem Konsortium deutscher Forschungsinstitute (MPIfR Bonn und KOSMA/Universität zu Köln, in Zusammenarbeit mit dem MPI für Sonnensystemforschung und dem DLR-Institut für Planetenforschung) entwickelt und betrieben. Projektleiter für GREAT ist Dr. Rolf Güsten (MPIfR). Die Entwicklung des Instruments ist finanziert mit Mitteln der beteiligten Institute, der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Webseite über das GREAT-Instrument: http://www3.mpifr-bonn.mpg.de/div/submmtech/heterodyne/great/greatmain.html

APEX, das Atacama Pathfinder Experiment, ist ein gemeinsames Projekt des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) mit dem Onsala Space Observatory (OSO) und der Europäischen Südsternwarte (ESO). Es dient dem Bau und Betrieb einer modifizierten Prototyp-Antenne von ALMA (Atacama Large Millimetre Array) als Einzelteleskop auf einem in 5100 Metern Höhe über dem Meeresspiegel gelegenen Standort in der Chajnantor-Ebene (Atacama-Wüste, Chile). Das Teleskop wurde von der VERTEX-Antennentechnik in Duisburg gebaut. Der Betrieb des Teleskops erfolgt durch die ESO.

APEX-Telescope: http://www.apex-telescope.org

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