Dunkle Materie – in fernen Galaxien Fehlanzeige

Milchstraßensysteme im jungen Universum bestehen hauptsächlich aus Gas und Sternen

15. März 2017

Neue Beobachtungen von Galaxien im jungen Universum zeigen, dass diese vollständig von normaler Materie dominiert werden. Die Dunkle Materie spielt in ihnen offenbar eine viel kleinere Rolle als bei Sternsystemen im heutigen Weltall. Zu diesem Ergebnis gelangten Forscher um Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, die in den Rotationskurven von sechs Galaxien einen charakteristischen Verlauf fanden: Die Geschwindigkeiten der Sterne wurden in den äußeren Bereichen kleiner, was auf keine zusätzliche unsichtbare Masse hindeutet. Zudem sind die Sternenscheiben dicker und turbulenter als die in heutigen Galaxien.

Galaxien im Fokus: Für jedes dieser sechs Milchstraßensysteme zeigt die linke Spalte die Verteilung der gesamten Oberflächenhelligkeit in der Wasserstoff-Spektrallinie H-alpha. Die rechte Spalte zeigt die jeweilige Geschwindigkeitskarte. Bei allen Galaxien ist ein deutliches Rotationsmuster zu sehen, wobei sich blau eingefärbte Gebiete zum Beobachter hin und rot eingefärbte Bereiche vom Beobachter weg bewegen.

Viele Studien der Galaxien im lokalen Universum zeigten über mehrere Jahre hinweg eindeutige Hinweise auf die Existenz der sogenannten Dunklen Materie. Die normale oder baryonische Materie lässt sich direkt in Form von hellen Sternen oder als leuchtendes Gas und Staub beobachten. Dunkle Materie hingegen interagiert mit normaler Materie nur durch die Wirkung ihrer Schwerkraft. Insbesondere zeigt sie sich in den Rotationskurven von Spiralgalaxien: Darin sind die Rotationsgeschwindigkeiten der Sterne konstant oder nehmen mit dem Radius sogar zu.

Das internationale Team um Max-Planck-Direktor Reinhard Genzel beobachtete mehrere hundert massereiche, sternbildenden Galaxien im frühen Universum – bei Rotverschiebungen zwischen 0,6 und 2,6 – mit bildgebender Spektroskopie. Dies ermöglichte es den Forschern, die Rotationskurven der Galaxien zu bestimmen, die wertvolle Hinweise auf die Massenverteilung sowohl für baryonische als auch für die Dunkle Materie liefern – zu einem Zeitpunkt vor zehn Milliarden Jahren, als die Galaxienentstehung ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Bei sechs Galaxien erhielten die Wissenschaftler Daten mit so hoher Qualität, dass sie sogar individuelle Rotationskurven bestimmen konnten; für etwa 100 weitere Galaxien nutzten sie eine neuen Ansatz: Sie „stapelten“ die Galaxien, um so eine durchschnittliche, repräsentative Rotationskurve zu gewinnen.

„Überraschenderweise sind die Rotationsgeschwindigkeiten nicht konstant, sie werden kleiner, je größer die Distanz vom Galaxienzentrum wird“, sagt Reinhard Genzel, Erstautor einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature. Dafür gebe es zwei Gründe: „Zum einen dominiert in den meisten dieser frühen massereichen Galaxien eindeutig die normale Materie – Dunkle Materie spielt eine viel kleinere Rolle als im lokalen Universum. Zweitens waren diese frühen Scheibengalaxien viel turbulenter als die Spiralgalaxien, die wir in unserer kosmischen Nachbarschaft sehen. Diese Turbulenz trägt zur dynamischen Stabilität bei, also müssen sie sich nicht so schnell drehen."

Beide Effekte scheinen mit zunehmender Entfernung der Galaxien einen größeren Einfluss zu haben, sie waren also zu früheren kosmischen Zeiten wichtiger. Dies deutet darauf hin, dass sich im jungen Universum – etwa drei bis vier Milliarden Jahre nach dem Urknall – das Gas in Galaxien bereits sehr effizient in der Mitte der ausgedehnten Halos aus Dunkler Materie angesammelt hatte.

Denn die Dunkle Materie existierte im jungen Universum sehr wohl. Sie brauchte jedoch etliche Milliarden Jahre länger, um ebenfalls zu kondensieren und ihre dominierende Wirkung auf die Dynamik der Galaxien zu entfalten. Diese Erklärung passt auch zu der Tatsache, dass weit entfernte (jüngere) Galaxien im Vergleich zu näher gelegenen viel mehr Gas enthalten und kompakter sind. Durch einen hohen Anteil an Gas kann der Drehimpuls leichter abgebaut und das Gas somit einfacher ins Innere gelenkt werden.

„Beim Vergleich dieser frühen masse- und gasreichen rotierenden Galaxien mit denen im lokalen Universum ist aber Vorsicht angebracht“, sagt Co-Autorin Natascha Förster Schreiber. „In heutigen Spiralgalaxien, wie unsere Milchstraße, ist die Dunkle Materie ein entscheidender Faktor. Andererseits spielt sie in Galaxien, die eine ausgedehnt kugelförmige Komponente im Zentrum haben, eine deutlich geringere Rolle. Letztere sind aber wahrscheinlich die Nachfahren der von uns beobachteten jungen Galaxien.“

Zwei weitere Untersuchungen von insgesamt 240 sternbildenden Scheibengalaxien stützen diese Einschätzung. Detaillierte dynamische Modellierungen zeigen, dass Baryonen im Mittel 56 Prozent des Gesamtmassenanteils in allen Galaxien ausmachen – in den jüngsten beobachteten Galaxien allerdings dominieren sie vollständig.

Eine weitere Analyse wertete dieselben Daten im Rahmen der Tully-Fisher-Beziehung aus, die einen engen Zusammenhang zwischen der Rotationsgeschwindigkeit einer Galaxie und ihrer Masse und Leuchtkraft beschreibt. Auch in diesem Fall zeigen die Daten, dass massereiche, sternbildende Galaxien im frühen Weltall einen höheren Baryonenanteil aufweisen als diejenigen bei niedrigerer Rotverschiebung.

„Die Rechnungen zeigen es ganz eindeutig“, sagt Co-Autor Stijn Wuyts von der University of Bath, „die Dynamik ist ein Maß für die Gesamtmasse. Wenn wir das, was wir in Form von Sternen und Gas sehen, abziehen, bleibt nicht viel Raum für die Dunkle Materie in diesen frühen Scheibengalaxien.“

HAE / HOR

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