„Das Teleskop bietet ein riesiges Potenzial“

Peter Predehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik über die Mission eRosita

11. Juni 2019

Am 21. Juni soll das bisher größte deutsch-russische Gemeinschaftsprojekt im Bereich der Wissenschaft starten: Von Baikonur aus wird eine Rakete das Weltraumobservatorium Spektrum-RG ins All bringen. Die Plattform trägt zwei Röntgenteleskope, eines davon ist eRosita. Es wurde federführend am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entwickelt und soll den gesamten Himmel in bisher unerreichter spektraler und räumlicher Auflösung durchmustern. Über die Mission sprachen wir mit Peter Predehl, dem wissenschaftlichen Leiter von eRosita.

Herr Predehl, was ist das Besondere an eRosita?

Unser Teleskop wird zunächst den gesamten Himmel im Röntgenlicht scannen und dabei keine einzelnen Quellen ins Visier nehmen. Ein solcher „All-Sky-Survey“ bietet ein riesiges Entdeckungspotenzial, weil man ja nicht gezielt nach einem bestimmten Objekt sucht, sondern Neues und Unerwartetes im Blick hat. Zweitens besitzt eRosita ein unbegrenztes Gesichtsfeld und kann damit auch Röntgenquellen abbilden, die sehr groß sind und sich weit über das Firmament ausdehnen. Dazu zählen etwa Supernova-Überreste, also die ausgestoßenen Gashüllen explodierter Sterne.

Welche Ziele hat die Mission?

Simulationen haben gezeigt, dass wir mit eRosita rund 100.000 Galaxienhaufen beobachten werden. Die Untersuchung dieser größten Strukturen im Weltall ist unser primäres Ziel. In einem solchen Haufen finden sich bis zu einige Tausend Galaxien – Milchstraßensysteme wie das unsere –, die durch die Schwerkraft aneinander gebunden sind. Im Röntgenlicht erscheinen diese Galaxienhaufen als kompakte Objekte. Dabei messen wir aber nicht das Licht der einzelnen Galaxien, sondern jene Strahlung, die das Gas zwischen den Galaxien aussendet, diese umgibt wie ein Kokon. Insgesamt bilden Galaxienhaufen eine großräumige Struktur, die einem kosmischen Netz ähnelt. Indem wir die Galaxienhaufen beobachten, betreiben wir Kosmologie.

Wie ist das zu verstehen?

Die Galaxienhaufen spiegeln die Materieverteilung im Universum wider, denn sie bilden die Fäden und Knoten des kosmischen Netzes, während es dazwischen riesige Leerräume praktisch ohne Materie gibt. Nun hat sich das All seit dem Urknall entwickelt. Mit eRosita blicken wir in große Entfernungen und – weil das Licht von fernen Objekten sehr lange zu uns unterwegs ist – in die Zeit zurück. Stellen Sie sich vor, wir beobachten im Röntgenlicht einen Galaxienhaufen. Dann haben wir schon mal die Richtung, in der er sich befindet, und seine Helligkeit. Wenn wir jetzt aus Anschlussbeobachtungen mit optischen Teleskopen seine Entfernung messen, können wir schließlich seine Masse bestimmen. Damit wissen wir, welche spezifische Dichte das Universum zu einer bestimmten Epoche hatte. Aus vielen solcher Messungen lässt sich auf diese Weise die Änderung der Dichte über die Äonen bestimmen. Damit können wir letztlich verschiedene kosmologische Parameter ableiten.

Finden Sie auch etwas zur Expansion des Weltalls heraus?

Ja, denn das All dehnt sich beschleunigt aus. Ursache dafür ist offenbar die Dunkle Energie – und damit stecken wir mitten in einem heißen Thema der aktuellen Forschung. Ich will nicht sagen, dass wir das Rätsel um diese Dunkle Energie lösen werden, aber wir sind ihr zumindest auf der Spur.

Und ist die Dunkle Materie auch ein Thema für eRosita?

Wie schon erwähnt, befinden sich zwischen den Galaxien eines Haufens große Mengen heißen Gases. Dieses intergalaktische Plasma sammelte sich in einer Gravitationssenke, die wohl durch die Dunkle Materie erzeugt wurde. Hier ist es interessant zu verfolgen, wie sich Galaxienhaufen unter dem Einfluss der Dunklen Materie und im Laufe der Zeit entwickelt haben.

Warum wird eRosita nicht in einer Bahn um die Erde laufen, sondern weit weg im Weltraum stationiert werden?

Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: An einem Ort um den sogenannten Librationspunkt 2, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, ist unser Planet nicht im Weg. Außerdem herrscht dort draußen im Weltraum eine konstante Temperatur, weil die Instrumente ja nicht dem dauernden Wechsel von Tag und Nacht ausgesetzt sind. Drittens erlaubt der Standort eine permanente Beobachtung des Himmels.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen?

Auf der Arbeitsebene war das im Großen und Ganzen kein Problem. Natürlich gibt es in Kollaborationen immer mal Konflikte, das ist ganz normal. Wir mussten allerdings viel lernen, denn die Russen haben bei einem Weltraumprojekt doch etwas andere Prozeduren als die westlichen Agenturen wie ESA oder NASA.

Sind Sie nervös?

Nein, nervös würde ich nicht sagen. Ich bin allenfalls angespannt. Aber wir haben alles getan, was getan werden musste. Und ich bin mir im Klaren: Wenn der Start schiefgeht, dann ist das Teleskop weg, dann gibt es keinen Plan B. Übrigens haben wir zehn Jahre an dem Projekt gearbeitet, eine für eine Mission dieser Größenordnung durchaus angemessene Zeit.

Wann erwarten Sie die ersten Ergebnisse?

Knapp zwei Wochen nach dem Start öffnen wir den Deckel des Teleskops, dann wird das Observatorium von Verunreinigungen befreit. Nach drei Monaten wird eRosita am Librationspunt 2 angekommen sein und ihn auf einer Umlaufbahn mit bis zu 800.000 Kilometer Halbachse umkreisen. Das erste Licht erwarte ich aber schon auf dem Weg dorthin, also für Ende August.

Das Interview führte Helmut Hornung.

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