Ein Tanz im Herzen der Milchstraße: Sterne umrunden das supermassereiche Schwarze Loch auf Rosettenbahnen und bestätigen Einstein

16. April 2020
Beobachtungen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik haben zum ersten Mal gezeigt, dass ein Stern, der um das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße kreist, sich so bewegt, wie von Einstein’s Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt. Die Bahn folgt einer Rosette und nicht einer Ellipse, wie Newtons Schwerkrafttheorie vorhersagen würde. Dieses lange gesuchte Ergebnis wurde möglich durch immer präzisere Messungen mit ESO-Teleskopen über fast 30 Jahre hinweg, mit denen die Wissenschaftler die Geheimnisse des Schwerkraftmonsters, das im Herzen unserer Galaxie lauert, entschlüsseln konnten.

"Die Allgemeine Relativitätstheorie von Einstein sagt voraus, dass die gebundenen Bahnen eines Objekts, das um ein anderes kreist, nicht geschlossen sind, wie von Newton vorhergesagt, sondern sich in der Bewegungsebene vorwärts bewegen. Dieser berühmte Effekt wurde erstmals bei der Umlaufbahn des Planeten Merkur um die Sonne beobachtet und war der erste Beweis für die Allgemeine Relativitätstheorie. Hundert Jahre später haben wir nun den gleichen Effekt in der Bewegung eines Sterns entdeckt, der die kompakte Radioquelle Sgr A* im Zentrum der Milchstraße umkreist. Dies ist ein Durchbruch bei den Beobachtungen des galaktischen Zentrums und stärkt unsere Überzeugung, dass sich dort ein supermassereiches Schwarzes Loch mit vier Millionen mal der Masse der Sonne befindet", führt Reinhard Genzel aus, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) und Architekt des 30-jährigen Beobachtungsprogramms, das zu diesem Ergebnis führte.

26.000 Lichtjahre von der Sonne entfernt, bieten Sgr A* und der dichte Sternhaufen um es herum ein einzigartiges Labor um die physikalischen Gesetze in dem ansonsten unerforschten Bereich extremer Gravitationsfelder zu untersuchen. Einer dieser Sterne, S2, kommt dem supermassereichen Schwarzen Loch sehr nahe, bis zu einer Entfernung von weniger als 20 Milliarden Kilometern (das 120-fache der Entfernung zwischen Sonne und Erde). Dies macht ihn zu einem der nächstgelegenen Sterne, die je auf einer Umlaufbahn um den massereichen Riesen gefunden wurden. S2 rast nahe des Schwarzen Lochs mit fast drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch den Raum und vollendet alle 16 Jahre eine Umlaufbahn. "Nachdem wir den Stern über zweieinhalb Jahrzehnte in seiner Umlaufbahn verfolgt haben, können wir mit unseren exquisiten Messungen nun die Schwarzschild-Präzession von S2 auf seinem Weg um Sgr A* robust nachweisen", sagt Stefan Gillessen vom MPE, der die Analyse der heute in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlichten Messungen leitete.

Die meisten Sterne und Planeten haben keine kreisförmige Umlaufbahn und sind deshalb mal näher, mal weiter entfernt von dem Objekt, um das sie sich drehen. Die Umlaufbahn von S2 verläuft so, dass sich die Lage des nächstgelegenen Punktes des supermassereichen Schwarzen Lochs mit jeder Umdrehung ändert – dieser Punkt selbst bewegt sich auf einer Kreisbahn, was dazu führt, dass die Umlaufbahn die Form einer Rosette erhält. Die Allgemeine Relativitätstheorie liefert eine präzise Vorhersage, wie stark sich die Umlaufbahn ändert, und die neuesten Messungen stimmen genau mit der Theorie überein. Dieser Effekt, der als Schwarzschild-Präzession bekannt ist, wurde noch nie zuvor für einen Stern um ein supermassereiches Schwarzes Loch gemessen.

Orbit-Rosette

Jedes Mal, wenn der Stern S2 das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße bei seinen Umkreisungen passiert, bekommt er einen "Kick" - genau so, wie es die Einstein‘sche Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt. Die Umlaufbahn wird dadurch leicht gedreht und zu einer Rosette.

 

Die Studie mit dem VLT der ESO hilft den Wissenschaftlern auch, mehr über die Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie zu erfahren. "Da die S2-Messungen der Allgemeinen Relativitätstheorie so gut folgen, können wir strenge Grenzen setzen, wie viel unsichtbares Material, wie etwa verteilte dunkle Materie oder weitere kleinere Schwarze Löcher, um Sgr A* herum vorhanden ist. Dies ist von großem Interesse für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung supermassereicher Schwarzer Löcher", sagen Guy Perrin und Karine Perraut, die leitenden Wissenschaftler des Projekts in Frankreich.

Dieses Ergebnis ist der Höhepunkt von 27 Jahren Beobachtungen des S2-Sterns mit diversen Instrumenten vor allem am VLT der ESO, das sich in der Atacama-Wüste in Chile befindet. Die Anzahl der Datenpunkte über die Position und Geschwindigkeit des Sterns zeugt von der Gründlichkeit und Genauigkeit der neuen Forschung: Das Team führte insgesamt über 330 Messungen mit den Instrumenten GRAVITY, SINFONI und NACO durch. Da S2 viele Jahre braucht, um das supermassereiche Schwarze Loch zu umkreisen, war es entscheidend, dem Stern fast drei Jahrzehnte lang zu folgen, um die Feinheiten seiner Bahnbewegung zu entschlüsseln.

Die entscheidenden Messungen wurden von einem internationalen Team unter der Leitung von Frank Eisenhauer vom MPE mit Mitarbeitern aus Frankreich, Portugal, Deutschland und der ESO durchgeführt. Das Team bildet die GRAVITY-Kollaboration, benannt nach dem von ihnen entwickelten Instrument für das VLT-Interferometer, das das Licht aller vier 8-Meter-VLT-Teleskope zu einem Super-Teleskop mit einem Durchmesser von 130 Metern kombiniert. Dasselbe Team berichtete 2018 von einem weiteren Effekt, der von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt wurde: Sie sahen, wie das Licht von S2 zu größeren Wellenlängen gedehnt wurde, als der Stern nahe an Sagittarius A* vorbeizog. "Unser vorheriges Ergebnis hat gezeigt, dass das vom Stern ausgestrahlte Licht die Allgemeine Relativitätstheorie wahrnimmt. Jetzt haben wir gezeigt, dass der Stern selbst die Auswirkungen der Allgemeinen Relativitätstheorie spürt", sagt Paulo Garcia, Wissenschaftler an Portugals Zentrum für Astrophysik und Gravitation und ein dortiger leitender Wissenschaftler des GRAVITY-Projekts.

Das Team hofft in Zukunft, mit dem "Extremely Large Telescope" der ESO noch viel schwächere Sterne sehen zu können, die näher am supermassereichen Schwarzen Loch kreisen. "Wenn wir Glück haben, könnten wir Sterne einfangen, die so nah sind, dass sie die Rotation, den Spin des Schwarzen Lochs, tatsächlich spüren", sagt Andreas Eckart von der Universität Köln, ein weiterer leitender Wissenschaftler des Projekts. Damit wären die Astronomen in der Lage, die beiden Größen zu messen, die Sgr A* charakterisieren – Spin und Masse – und Raum und Zeit um ihn herum definieren. "Das wäre eine noch höhere Messlatte, an der wir die Relativitätstheorie überprüfen möchten", sagt Eckart.

<p>Der Stern S2 umläuft das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße nicht auf einer geschlossenen Ellipse, die ortsfest im Raum liegt. Vielmehr schreitet die Bahn gleichsam voran, wobei sich mit der Zeit die Form einer Rosette ergibt.</p>

Interview mit Reinhard Genzel

Der Stern S2 umläuft das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße nicht auf einer geschlossenen Ellipse, die ortsfest im Raum liegt. Vielmehr schreitet die Bahn gleichsam voran, wobei sich mit der Zeit die Form einer Rosette ergibt.

https://www.youtube.com/watch?v=0yz_RsbsQ5Y

 

Weitere Informationen

Das Team der GRAVITY-Kollaboration besteht aus R. Abuter (Europäische Südsternwarte, Garching, Deutschland [ESO]), A. Amorim (Universidade de Lisboa - Faculdade de Ciências, Portugal und Centro de Astrofísica e Gravitação, IST, Universidade de Lisboa, Portugal [CENTRA]), M. Bauböck (Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching, Deutschland [MPE]), J.P. Berger (Univ. Grenoble Alpes, CNRS, Grenoble, Frankreich [IPAG] und ESO), H. Bonnet (ESO), W. Brandner (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland [MPIA]), V. Cardoso (CENTRA und CERN, Genève, Schweiz), Y. Clénet (Observatoire de Paris, Universität PSL, CNRS, Sorbonne Université, Université de Paris, Meudon, Frankreich [LESIA], P. T. de Zeeuw (Sterrewacht Leiden, Universität Leiden, Niederlande und MPE), J. Dexter (Abteilung für Astrophysik und Planetenwissenschaften, JILA, Duane Physics Bldg, University of Colorado, Boulder, USA und MPE), A. Eckart (1. Institut für Physik, Universität zu Köln, Deutschland [Köln] und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), F. Eisenhauer (MPE), N.M. Förster Schreiber (MPE), P. Garcia (Faculdade de Engenharia, Universidade do Porto, Portugal und CENTRA), F. Gao (MPE), E. Gendron (LESIA), R. Genzel (MPE, Fachbereich Physik und Astronomie, Le Conte Hall, University of California, Berkeley, USA), S. Gillessen (MPE), M. Habibi (MPE), X. Haubois (Europäische Südsternwarte, Santiago, Chile [ESO Chile]), T. Henning (MPIA), S. Hippler (MPIA), M. Horrobin (Köln), A. Jiménez-Rosales (MPE), L. Jochum (ESO Chile), L. Jocou (IPAG), A. Kaufer (ESO Chile), P. Kervella (LESIA), S. Lacour (LESIA), V. Lapeyrère (LESIA), J.- B. Le Bouquin (IPAG), P. Léna (LESIA), M. Nowak (Institut für Astronomie, Cambridge, UK und LESIA), T. Ott (MPE), T. Paumard (LESIA), K. Perraut (IPAG), G. Perrin (LESIA), O. Pfuhl (ESO, MPE), G. Rodríguez-Coira (LESIA), J. Shangguan (MPE), S. Scheithauer (MPIA), J. Stadler (MPE), O. Straub (MPE), C. Straubmeier (Köln), E. Sturm (MPE), L.J. Tacconi (MPE), F. Vincent (LESIA), S. von Fellenberg (MPE), I. Waisberg (Abteilung für Teilchenphysik & Astrophysik, Weizmann Institut für Wissenschaft, Israel und MPE), F. Widmann (MPE), E. Wieprecht (MPE), E. Wiezorrek (MPE), J. Woillez (ESO) und S. Yazici (MPE, Köln).

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