Ein junges Forschungsgebiet
In den letzten Jahrzehnten hat sich die beobachtende Astronomie
vom schmalen Bereich des sichtbaren Lichts, der eine Oktave mißt,
auf das ganze elektromagnetische Spektrum ausgedehnt.
Heute werden mehr als sechzig Oktaven zwischen dem langwelligen
Radiobereich und der hochenergetischen Gammastrahlung im TeV-Bereich
genutzt. Triebfeder dieser Entwicklung war die Erkenntnis,
daß verschiedene Spektralbereiche ganz unterschiedliche,
komplimentäre Einblicke in das kosmische Geschehen gestatten.
Zu den fruchtbarsten der neuen Spektralbereiche gehört die
Röntgenastronomie mit Photonenenergienvon 0,1 - 500 keV.
Es sind vor allem die Phänomene am Ende der Sternentwicklung,
die am Röntgenhimmel hervortreten: Supernovaexplosionen,
Neutronensterne und Schwarze Löcher.
Im extragalaktischen Bereich dominieren am Röntgenhimmel einerseits
aktive Galaxien - wie Radiogalaxien, Seyfert-Galaxien, Quasare - und
andererseits Galaxienhaufen, die größten physikalischen Formationen
in unserem Universum.
Aber auch normale Sterne und normale Galaxien, die vergleichsweise schwache
Röntgenstrahler sind, können mit modernen Teleskopen studiert werden.
Und selbst Kometen, die als schmutzige Schneebälle gelten,
sind am Röntgenhimmel sichtbar.
Die Emission von Röntgenstrahlung erfolgt in den kosmischen Objekten
unter extremen Bedingungen. Heiße Plasmen mit Temperaturen von
Millionen bis Milliarden Grad emittieren sie als Schwarzkörper- oder
Bremsstrahlung. Synchrotonstrahlung und inverser Compton-Effekt haben
ihren Ursprung in der Wechselwirkung extrem relativistischer Elektronen
mit kosmischen Magnet- und intensiven Photonenfeldern. So lernt man an
Röntgenbeobachtungen vor allem etwas über das heiße Universum und über
Kernenergieprozesse. Sie sind oft mit explosiven Prozessen verbunden,
die in der kosmischen Entwicklung eine ganz wesentliche Rolle spielen.
Anfänge und stürmische Entwicklung
Die Röntgenastronomie ist eine Errungenschaft des Raumfahrtzeitalters.
Der direkte Nachweis der Röntgenstrahlung der Sonne gelang nach dem
zweiten Weltkrieg in den USA mit Hilfe erbeuteter
V-2-Raketen.
Die erste kosmische Röntgenquelle, Scorpius X-1,
und die kosmische Röntgen-Hintergrundstrahlung wurden
1962 gleichzeitig durch Zufall mit einem Raketenexperiment der
National Aeronautics and Space Administration (NASA) entdeckt,
das mit Geiger-Müller-Zählrohren ausgerüstet war und
dessen eigentliches Ziel gewesen war,
die vom Mond reflektierte Röntgenstrahlung der Sonne nachzuweisen.
Es folgten zahlreiche Raketen- und Ballonexperimente und eine ganze Reihe von
Röntgensatelliten, die mit großflächigen Röntgenkollektoren ausgerüstet waren.
Dazu gehörten vor allem 1971 der Satellit
UHURU, mit dem die erste
Himmelsdurchmusterung gemacht wurde, die 339 Quellen erbrachte.
Zu diesen Experimenten zählten ab 1973 in Deutschland
Ballon-HEXE
und später
MIR-HEXE
auf der sowjetischen Raumstation (1987-94), mit denen wir zusammen mit dem
Astronomischen Institut der Universität Tübingen
Messungen, vor allem an Neutronensternen und Schwarzen Löchern, gemacht haben.
Ein Höhepunkt dieser Aktivitäten war die Entdeckung einer
Zyklotronresonanzlinie im harten Röntgenspektrum
des Neutronensterns Hercules X-1.
Damit wurde es zum ersten Mal möglich,
die Polfeldstärke eines solchen Objekts spektroskopisch zu bestimmen:
500 Millionen Tesla, das größte bisher gemessene Magnetfeld im Kosmos.
Ganz neue Möglichkeiten eröffneten sich durch die Einführung
abbildender Teleskope, bei denen man sich die Reflektion
von Röntgenstrahlen unter streifendem Einfall zu Nutze macht.
Der Physiker Hans Wolter hatte 1951 in Kiel eine Spiegelkonfiguration
erfunden, bei der ein Paraboloid- und ein Hyperboloidspiegel konfokal und
koaxial hintereinder angeordnet sind, um ein Röntgenmikroskop zu bauen.
Derartige Wolter-Teleskope wurden zuerst
im Skylab für Untersuchungen der Sonnenkorona eingesetzt.
1978 folgte das
Einstein-Observatorium
der NASA und 1983 der EXOSAT
der ESA, die mit Wolter-Teleskopen von 56 cm
bzw. 17 cm Öffnung ausgerüstet waren.
Unsere Röntgengruppe begann 1972/73 mit Hilfe der Firma Carl Zeiss
Röntgenspiegel systematisch zu untersuchen und zu entwickeln.
Bereits in den Jahren 1974-77 konnten Paraboloidspiegel bei
Raketenexperimenten eingesetzt werden, um alte Supernovaüberreste
in den Sternbildern Vela und Cygnus zu spektroskopieren.
Der Einsatz unseres ersten Wolter-Teleskops mit 32 cm
Öffnung auf einer Skylark-Rakete 1979 wurde ein großer Erfolg.
Das Bild der Supernovahülle
Puppis A
war die erste Röntgenaufnahme vom Himmel, die je mit einem
spektralauflösenden Bilddetektor gemacht wurde, einem
im MPE entwickelten positionsempfindlichen Proportionalzähler.
Später wurde das 32-cm-Teleskops für Aufnahmen der Supernovahülle
Cassiopeia A (1981) und der Supernova 1987A eingesetzt.
Aber unser Ziel war von Anfang an, ein Röntgenteleskop auf einem Satelliten
zu fliegen. Die endgültige Genehmigung dieses Großprojektes, mit dem Namen
ROSAT (ROentgenSATellit), das mit einem Vorschlag an das
Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT)
bis ins Jahr 1975 zurückreicht, wurde 1982 erteilt, nachdem die
politische Vorgabe einer internationalen Beteiligung erfüllt worden war:
-
Mit dem britischen Beitrag eines Wolter-Teleskop
für den XUV-Bereich konnte der Spektralbereich nach langen
Wellenlängen hin ausgedehnt werden.
-
Die NASA war bereit, sich mit einem kostenlosen Start
mit dem Space Shuttle und einem hochauflösenden Bilddetektor
für das Röntgenteleskop zu beteiligen.
Noch im Jahr der Genehmigung wurde mit dem Bau des Satelliten begonnen.
ROSAT
Mit ROSAT, benannt nach
Wilhelm Conrad Röntgen,
dem Entdecker der Röntgenstrahlung,
wurde am 1. Juni 1990 ein Wolter-Teleskop gestartet,
das um ein Vielfaches leistungsfähiger ist als seine Vorgänger.
Eines der wichtigsten Ziele war, zum ersten Mal mit einem
abbildenden Röntgenteleskop den ganzen Himmel zu durchmustern.
Dieser Teil der Mission dauerte ein halbes Jahr und wurde
im Februar 1991 abgeschlossen.
Dabei konnten Quellen erfaßt werden, deren Intensität
hundertmal schwächer waren als die schwächsten Quellen
bisheriger Röntgendurchmusterungen.
Entsprechend reich ist die wissenschaftliche Ausbeute.
Die Auswertungen haben ergeben, daß mit der
ROSAT-Durchmusterung
mehr als 60.000 Röntgenquellen gefunden wurden.
Ihre Anzahl übertrifft damit die des bisher umfangreichsten
"all-sky survey" des HEAO-I Satelliten mit 840 Quellen um fast zwei
Größenordnungen.
Im Anschluß an die Himmelsdurchmusterung,
d.h. seit sechseinhalb Jahren, wurde ROSAT für
Detailbeobachtungen einzelner Quellen eingesetzt.
Die Beobachtungszeit wird dabei ausgeschrieben und verteilt sich weltweit
auf annähernd tausend Gastbeobachter. Insgesamt wurden bisher mehr als
7,000 Einzelbeobachtungen ausgeführt.
ROSAT-Himmelsdurchmusterung und Detailbeobachtungen haben eine reiche
Ernte von nahezu 150,000 Röntgenquellen erbracht,
die in ihrer Qualität und Quantität alles in den Schatten stellt,
was bisher mit abbildenden Röntgenteleskopen gefunden wurde.
An dieser Stelle kann leider nur auf die zahlreichen
Veröffentlichungen,
"Highlights",
Fachkonferenzen
und auf die ROSAT-Bildersammlung
hingewiesen werden.
Laufende Projekte
Einige Röntgensatelliten arbeiten bereits seit geraumer Zeit parallel zu ROSAT,
z.B. der russische Granat,
der mit amerikanischer Unterstützung gebaute
japanische ASCA,
von den Niederlanden und vom MPE unterstützte italienische
BeppoSAX oder der
amerikanische RXTE.
Die Zusammenarbeit zwischen ASCA und ROSAT ist besonders stark
und intensiv, da sich die Satelliten in ihren Eigenschaften sehr gut
ergänzen: Während ROSAT sich durch eine hohe Empfindlichkeit
im 0,1 - 2,4 keV Energieband und gute Abbildungseigenschaften auszeichnet,
besitzt ASCA eine hohe spektrale Auflösung in einem Bereich,
der sich zu höheren Energien (0,5 bis 10 keV) hin ausdehnt.
Große Röntgen-Observatorien
Auch nach ROSAT geht die Röntgenastronomie weiter. Nationale und
internationale Nachfolgeprogramme, an denen auch unser Institut
beteiligt ist, sind angelaufen und liefern große Mengen interessanter
Daten.
Die beiden Röntgengroßprojekte sind amerikanische bzw. europäische
Initiativen, die sich in ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung ergänzen:
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Die amerikanische Advanced X-ray Astrophysics Facility, nun
Chandra genannt,
wurde am 23. Juli 1999 gestartet.
Das große Röntgenteleskop
von 10 m Brennweite und 120 cm Öffnung mit vier
ineinandergeschachtelten Wolter-Spiegeln erreicht zusammen mit einem
Michrochanneldetektor, ähnlich dem HRI an Bord von ROSAT,
ein räumliches Auflösungsvermögen von 0,5 Bogensekunden
(also zehnmal besser als ROSAT).
Als zweiter Detektortyp ist ein Röntgen-CCD in Betrieb.
Beide Detektoren können zusammen mit Transmissionsgittern
betrieben werden und haben im Energiebereich von 0,1 bis 10 keV
eine hohe spektrale Empfindlichkeit mit hoher spektraler Auflösung.
Das Low Energy Transmission Grating (LETG) von Chandra ist ein
gemeinsamer Beitrag der Niederländischen Organisation für
Weltraumforschung (SRON) und dem MPE.
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Das europäische Gegenstück ist der
X-ray Multi-Mirror Satellit (XMM-Newton) .
Er wurde am 10. Dezember 1999 gestartet und ist
mit drei großen Wolter-Spiegelsystemen ausgerüstet,
von denen jedes bei einer Brennweite von 7,50 m aus 58
ineinandergefügten Spiegelschalen besteht.
Mit seiner großen Sammelfläche und verschiedenen
Halbleiter-Kameras (European Photon Imaging Cameras, EPIC)
ist XMM-Newton besonders geeignet,
detaillierte und hochauflösende Röntgenspektren aufzunehmen
und Zeitvariabilitätsstudien durchzuführen.
Das MPE trug zur Entwicklung von XMM-Newton in mehrfacher Weise
bei: Röntgen-optisches Design und Testmessungen des Spiegelsystems;
Entwicklung, Bau und Tests des neuartigen pn CCD Detectors und
Teilnahme an den XMM-Newton Bodenkalibrationen. Seit dem Start
wird die Funktion der EPIC pn Kamera und die In-Flug Eichung von
der Röntgenkalibrationsgruppe am MPE betreut.
Technologietreiber Röntgenastronomie
Nicht zuletzt hat unsere wissenschaftliche Neugierde auch ganz wesentlich
mit Erstentwicklungen zum technologischen Fortschritte beigetragen:
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Die Firma Carl Zeiss hat für unsere Röntgenspiegel
superglatte Oberflächen
entwickelt, hergestellt und bereits anderweitig genutzt.
Unter anderem wird diese Technologie auch in der modernen
Brillenherstellung angewandt.
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Mit der Firma Dr. Johannes Heidenhain wurden
freitragende Mikrostrukturen
für unsere Gitterspektrometer entwickelt und gebaut,
die technologisch z.B. für Längenmaßsysteme
interessant sind, die in computergesteuerten Werkzeugmaschinen
eingesetzt werden.
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Für unsere schnellen hochauflösenden
CCD-Röntgenbildwandler
wurde zusammen
mit dem Max-Planck-Institut für Physik
ein eigenes Halbleiterlabor eingerichtet
- zukünftige Einsatzfelder können
von der Medizin bis hin zur Materialforschung reichen.
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Dagegen ist eine von der DASA und vom GSOC für ROSAT entwickelte
Satelliten-Lageregelung
bereits für über 50 Kommunikations-Satelliten zum Standard
geworden.
Weiterführende Literatur
Der unsichtbare Himmel - Astronomie mit ROSAT
,
B. Aschenbach, M.-M. Hahn, J. Trümper,
1996 Birkhäuser Verlag, Basel · Boston · Berlin
ROSAT,
Broschüre, herausgegeben vom
Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn und von der
Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt, Köln ·
die elektronische Ausgabe wurde aktualisiert und verändert
O.S. · 08/06/1997
F.H. · 19/06/2006