Gamma-Astronomie mit Radionukliden
Atomkerne kosmischer Materie entstehen in Kernfusions-Reaktionen an
besonderen Orten im Universum, vergleichsweise stetig im Innern der Sterne, und
spektakulär in Sternexplosionen, den Novae und Supernovae. Diese Prozesse sind
Teil der Entwicklung des Universums, insbesondere prägt die Produktion frischer
Elemente die Entwicklung des interstellaren Materie und der Galaxien. Durch
Messung von Gammastrahlung radioaktiver Isotope haben wir einen unmittelbaren
Zugang zu diesen Vorgängen erschlossen.
Wir glauben
heute, dass wir die wesentliche Rolle von Kernfusionsreaktionen für die
Entwicklung von Sternen und interstellarem Medium in ihren Grundzügen
verstanden haben. Arthur Eddington hatte bereits um 1920 erkannt, daß nukleare
Energie die gravitative Anziehung in Sternen kompensieren muß. In den 50er
Jahren entwickelten dann das Ehepaar Burbidge, Fowler, Hoyle, Cameron, Urey,
und andere eine Theorie, die stellare Nukleosynthese im Kontext der Entwicklung
kosmischer Objekte und Elementhäufigkeiten überzeugend darstellt. Dies sollte
aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß unsere Kenntnisse über die
physikalischen Prozesse, die für die Erzeugung der schwereren Elemente
(A>20) verantwortlich sind, vergleichweise grob und ungenau sind. Das liegt
hauptsächlich an der komplexer werdenden Kernphysik und insbesondere auch
daran, daß die Reaktionspfade mehr und mehr instabile Isotope einbeziehen.
Zudem läuft in der Regel die Nukleosynthese für die schweren Elemente ähnlich
schnell ab wie Energie- und Materialtransport, womit nur schlecht verstandene
hydrodynamische Prozesse wie die Konvektion den Kernfusionspfad mitgestalten.
Die
Isotopenhäufigkeiten der chemischen Elemente am Ende eines
Nukleosyntheseereignisses hängen sehr viel empfindlicher von den physikalischen
Bedingungen ab als die Elementhäufigkeiten selbst. Messungen von
Isotopenzusammensetzungen stellen daher wichtige Tests für unser Bild von der
Nukleosynthese-Umgebung dar. Sie sind allerdings erschwert durch die hohe
Dichte kosmischer nuklearer Brennzonen, die primäre Information der Röntgen-
und Gamma-Photonen wird durch Streuprozesse zerstört. Meßwerte aus
strahlungsangeregten Sternhüllen und Gaswolken müssen mit Hilfe von Modellen
interpretiert werden im Kontext ungenau bekannter und sich z.T. rasch
verändernder physikalischer Randbedingungen wie Dichte, Anregungstemperatur,
Ionisationsgrad. Hier bringen radioaktive Isotope entscheidende Vorzüge ins
Feld: Bei hinreichend langen Zerfallszeiten entsteht die charakteristische Gammastrahlung
erst, wenn Nukleosynthese-Asche durch Sternwinde oder die Explosion des Sterns
im dünnen interstellaren Medium verteilt ist; in kondensierter
Nukleosynthese-Asche werden durch radioaktiven Zerfall deutlich ungewöhnliche
charakteristische Isotopen-Zusammensetzungen konserviert. Diese beiden Effekte
haben in Verbindung mit gereifter Technologie im letzten Jahrzehnt zu erstmals
astrophysikalisch brauchbaren Messungen geführt, im Bereich astronomischer
Messungen von charakteristischen Gamma-Linien und im Bereich der
Labor-Massenspektrometrie mikroskopischer Meteoriteneinschlüsse interstellaren
Staubs. Wir erleben damit die Entwicklung einer "Astronomie neugeborener
Atomkerne".
Abb. 1:
. Das im Oktober 2002 gestartete International Gamma-Ray Astrophysics
Laboraory („INTEGRAL“) der ESA trägt ein hochauflösendes
Gamma-Linien-Spektrometer („SPI“) für
spezifische Messungen des radioaktiven Himmels. |
Detaillierte
Modelle kosmischer Nukleosynthese unterscheiden nach Umgebungsbedingungen:
Primordiale Nukleosynthese erklärt im Rahmen des Standard-Urknall-Modells der
Kosmologie die gemessenen Häufigkeiten von normalem Wasserstoff, Deuterium, der
beiden stabilen Helium-Isotope und von 7Li. Die Übereinstimmung von
theoretischen Vorhersagen mit den beobachteten Häufigkeiten wird sogar als eine
wichtige Stütze dieses Modells angesehen. Häufigkeitsvorhersagen für die der
stellaren Nukleosynthese zugeordneten Elemente sind dagegen mit größeren
Unsicherheiten behaftet. Massereiche Sterne produzieren während ihrer ruhigen
(hydrostatischen) Entwicklung die meisten Elemente bis etwa zum Eisen. Elemente
mit ungerader Protonenzahl sowie seltenere Isotope werden im Wesentlichen
beigetragen von Supernovaexplosionen massereicher Sterne, ebenso wie die Kerne,
die dem r-Prozess zugeordnet werden. Eisen (56Fe) wird darüber
hinaus in großen Mengen in thermonuklearen ("Typ Ia") Supernovae
produziert, etwas 7Li, N und andere leichtere Elemente in Novae.
Sternentwicklungsmodelle werden meist daran gemessen wie gut sie die
"Standard-Häufigkeiten", das sind näherungsweise die Element- und
Isotopenhäufigkeiten der Sonne, reproduzieren, was in der Regel auch recht gut
gelingt.
Trotz dieser
Erfolge der Theorie gibt es noch viele offene Fragen. Bereits in den noch
relativ gut verstandenen ruhigen Phasen der Sternentwicklung beeinflussen
Turbulenz und Konvektion die stellare Nukleosynthese und das Mischen der neu
erzeugten Elemente. Beide Prozesse können derzeit nur über "freie"
Parameter berücksichtigt werden, was physikalisch unbefriedigend ist und zudem
die Vorhersagekraft der Modelle stark reduziert. Hinzu kommen Unsicherheiten in
einigen wichtigen Kernreaktionsraten. Diese möglichen Quellen systematischer
Fehler wirken mehrfach in Modellen: sie bestimmen die Isotopenzusammensetzung
am Ende hydrostatischer Sternentwicklung, und beeinflussen die explosive
Nukleosynthese wenn diese vielfältige Kernreaktionskanäle eröffnet.
Problematisch ist ferner, dass Explosionen massereicher Sterne in
Simulationsrechnungen selten "gelingen"; ein Indiz, dass ein
wichtiger Teil der relevanten Physik noch nicht verstanden ist.
Das Spektrum
sichtbaren Lichts aus Atmosphären normaler Sterne zeigt über charakteristische
Linien die Zusammensetzung der Materie, aus der dieser Stern ursprünglich
gebildet wurde, ist also immer noch unser Haupt-Informationsträger über
Nukleosynthese. Röntgen- und Radio-Spektroskopie sind vielversprechende
alternative Ansätze zur Bestimmung von Elementhäufigkeiten in Regionen besonders
heissen bzw. kalten interstellaren Gases. Hier ist allerdings die
Interpretation im Hinblick auf Isotopenhäufigkeiten erschwert über komplexe
Modelle des Linien-Anregungsvorgangs. Der radioaktive Zerfall eines Isotops ist
dagegen überwiegend unbeeinflußt von Umgebungseigenschaften. Deshalb sind die
Spektral-Linien durchdringender Gamma-Strahlung unmittelbare Boten der Existenz
dieser radioaktiven Isotope. Anders als langwelligere Strahlung von Röntgen-
bis hin zum infraroten Bereich, sind hier auch die dichteren Gas-und
Staub-Schichten entlang der Ebene der Milchstraße transparent. Je nach
Halbwertszeit ist damit ein direkter bis zeitlich verzögerter Nachweis von
Elemententstehungsprozessen über die Messung charakteristischer Gammalinien
möglich.
Die Entdeckung
des Signals zerfallender 56Ni und 57Co Isotope von der
Supernova SN1987A in unserer Nachbargalaxie LMC, der Grossen Magellanschen
Wolke in einer Entfernung von ca. 160000 Lichtjahren; wird als überzeugender
direkter Beweis für Nukleosynthese gesehen. Mit ihren kurzen Zerfallszeiten (siehe
Tabelle) können diese Isotope nur während des gravitativen Kollapses oder
der folgenden Explosion erzeugt worden sein.
|
Auch radioaktives
Titan (44Ti) wird unter diesen Bedingungen synthetisiert. Dieses
Isotop zerfällt innerhalb von 90 Jahren, begleitet von Gammalinien der Energien
68, 78, und 1157 keV. Die Messung dieser Gammalinien von der Supernova SN1987A
ist eine der großen Herausforderungen an die nächste Generation von
Gamma-Teleskopen. 44Ti wurde erstmalig im Jahr 1994 nachgewiesen in
dem ~300 Jahre alten Supernova-Überrest Cas A in unserer Milchstraße. Das
radioaktive 44Ti Nachleuchten ist hier wegen diesen Alters bereits
auf 1% seines Anfangswertes abgeklungen. Allerdings überrascht es, daß wir
keine anderen, vor allem jüngeren Supernova-Überreste in 44Ti
strahlen sehen: Die Rate von Supernovae durch gravitativen Kollaps sollte in
der Milchstraße im Mittel etwa 2 pro Jahrhundert sein, so daß einige von ihnen
bereits mit derzeitigen Instrumenten sichtbar sein sollten, vor allem aus dem
zentralen Bereich der Milchstraße.
Abb. 2: Bild derzeitiger
Nukleosynthese-Aktivität in der Milchstrassengalaxie. Die Karte zeigt den
Himmel in |
Ein andersartiger
Supernova-Explosionstyp ("Typ Ia") geht nach unseren derzeitigen
Vorstellungen von kompakten weißen Zwergsternen aus, die überwiegend aus
Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Kohlenstoff-Fusion im Inneren des Zwergs,
die sich innerhalb von Sekunden ausbreitet und sehr hohe Temperaturen von
einigen 109K erreicht, erzeugt in grosser Menge das Isotop mit der
höchsten Bindungsenergie pro Nukleon, 56Ni (0.3-1 Sonnenmassen
radioaktives 56Ni). Diese gewaltige radioaktive Energie (Zerfall
über Cobalt zu Eisen, Zerfallsszeiten 8.8 bzw. 111 Tage) heizt die gesammte
Supernova-Hülle stark und nachhaltig auf, und bewirkt so wochenlanges helles
Leuchten, das die kosmologische Bedeutung erklärt.
Die dichte Hülle
verhindert in den ersten Tagen allerdings auch, daß selbst die durchdringende
Gammastrahlung des radioaktiven 56Ni Zerfalls zu 56Co
ohne Streuprozesse nach außen dringt, jedenfalls wenn die Kernfusion innen
beginnt. Die charakteristischen Gammalinien (bei 158 und 812 keV) wären eine
klare Diagnostik für den Anfangszustand und -verlauf der Explosion. Eine
weitere Diagnostik von der 56Ni Zerfallskette ist das
Zwischenprodukt 56Co: Es zerfällt nämlich mit einer Zeitkonstante
von 111 Tagen zum Endprodukt 56Fe unter Aussendung
charakteristischer Gammalinien bei 1173 und 1332 keV, man kann aus der
Gammastrahlen-Intensität unmittelbar die Gesamtmenge an erzeugtem 56Ni
bestimmen. Verschiedene diskutierte Explosions-Verläufe unterscheiden sich um
mehr als eine Größenordnung in der Menge des erzeugten 56Ni, so daß
hier eine für unser Supernova-Verständnis entscheidende Meßgröße vorliegt.
Bisher stützen Studien sich auf die Simulation der sekundären, aber optisch
beobachtbaren Spektren und Helligkeitsverläufe, und variieren den Gesamtgehalt
an 56Ni bis die Simulation die Messung wiedergibt. Da in solche
Simulationen diverse Annahmen über Zusammensetzung der Materie und
Explosionsdynamik eingehen, sind die systematischen Unsicherheiten der so
bestimmten Nickelmenge beträchtlich. Nun treten in grossen Spiralgalaxien diese
thermonuklearen Supernovae vergleichweise selten auf, etwa im Verhältnis 1:4
seltener als cc-Supernovae. Mit der begrenzten Empfindlichkeit der derzeitigen
Gamma-Teleskope (ca. 10-5 Gamma-Photonen cm-2 s-1)
gab es bisher nur zwei Mess-Gelegenheiten (SN1991T und SN1998bu). Daraus
jeweils abgeleitete Nickelmengen sind widersprüchlich und einen Faktor ~2
abseits des Erwarteten, die Resultate könnten statistisch verfälscht sein. Die
Hoffnungen liegen auf der Nachfolgegeneration der Gamma-Teleskope; bei
entsprechender spektraler Auflösung wird die Linienform der gemessenen
Gammastrahlung die Kinematik der Explosion direkt abbilden und unser
Verständnis des Explosionsprozesses entscheidend weiterbringen.
Thermonukleare
Explosionen auf weißen Zwergsternen sind nach unserem Verständnis ebenfalls
verantwortlich für das Auftreten sogenannter "klassischer Novae"; das
von einem Begleitstern übertragene Material zündet in diesem Fall eine
langsamer verlaufende Wasserstoff-Explosion, die oberen Schichten des weißen
Zwergsterns erfahren Kernbrennen und synthetisieren leichtere Elemente von
Kohlenstoff bis vielleicht Schwefel. Der langsamere Verlauf der Nova erlaubt der
Zwergatmosphäre zu expandieren und damit die Verbrennung letztlich
auszulöschen. Bisherige Versuche, diese Art der Explosion physikalisch zu
modellieren, sind teilweise erfolgreich und konsistent mit dieser Beschreibung,
sagen allerdings die Menge der durch die Nova abgestoßenen Hülle um einen
Faktor 10 zu gering voraus. Daher ruhen auch hier große Hoffnungen auf der
Beobachtung von Gamma-Linien radioaktiver Isotope, insbesondere von
Positronen-Annihilationstrahlung der b-zerfallsaktiven kurzlebigen radioaktiven Isotope,
vom 22Na Isotop (Zerfallszeit 3.8 Jahre) und 7Be Isotop
(Zerfallszeit 78 Tage). Für die nächste Generation von Instrumenten müßte die
Nova näher als 5000 Lichtjahre sein; Novae treten in der Milchstraße mit einer
Rate von ~30 pro Jahr auf.
Abb. 3: Erste Messungen von radioaktivem
26Al aus dem Inneren der Galaxis mit dem INTEGRAL
Spektrometer. Aus den
Dopplerverbreiterungs/-verschiebungs-Effekten können Orte und Dynamik der
Strahlungsquellen studiert werden. |
Der relativ
langlebige radioaktive Zerfall des 26Al Isotops hat durch die
Messungen des Gammastrahlen-Observatoriums 'Compton' beigetragen zu einer
Übersichtskarte von Nukleosynthese-Orten in der gesamten Milchstraße (Abb. 2).
Innerhalb der langen Zerfallszeit von 26Al (1 Million Jahre) tragen
viele Supernova-Explosionen, die Winde vieler massereicher Sterne, sowie Novae
und andere Quellen zum Gesamtbild bei. Andererseits ist diese Zeitspanne kurz
im Vergleich zu den Zeitskalen galaktischer Prozesse (ein Umlauf der Sonne um
das Zentrum der Galaxie dauert hundertfach länger, Gruppen massereicher Sterne
bilden sich und lösen sich auf in mehr als zehnfacher Zeit). Damit liefert die
Abbildung von Nukleosynthese im Licht der 26Al Gammastrahlung bei
1809 keV eine Momentaufnahme der Galaxis, integrierend über alle
Nukleosynthesequellen. Die Interpretation der Himmelskarte im 26Al
Licht besagt, daß massereichen Sterne den dominanten Beitrag liefern, Novae und
massearme Sterne tragen nur wenig bei. Damit stellt die 26Al
Himmelskarte auch die Verteilung der massereichen Sterne innerhalb der gesamten
Galaxis dar, frei von verdeckenden Effekten etwaiger Dunkelwolken, die viele
Sternkataloge beeinträchtigen. Aus dieser Verteilung wird klar, daß bestimmte
Regionen in der Milchstraße eine höhere Sternbildungsrate hatten in jüngster
Vergangenheit, etwa im Sternbild des Schwans (Cygnus). Aus dem Vergleich der 26Al
Leuchtkraft mit Sternzählungen hat man so Hinweise auf verdeckte
Sternpopulationen erhalten. Mit dem INTEGRAL Spektrometer (Abb. 1)
können wir nun auch spektral hochaufgelöste Gamma-Linienmessungen durchführen,
und durch Doppler-Verbreiterung und –Verschiebung die Dynamik interstellaren 26Al
studieren (Abb. 3). Damit ergänzt 26Al die Verständnistests
des gesamten Materiezyklus über die Sternentwicklung hinaus, mit astronomischen
Messungen vom Radio- bis in den Gammastrahlen-Bereich.
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V. (Ed.) (2001) "The Universe in Gamma-Rays", Springer Verlag, Berlin
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Hochenergie-Astronomie/Gamma-Astronomie, im Juli 2003