Jahresbericht 1998 / Annual Report 1998

Messung des Wechselwirkungspotentials von Staubteilchen im Plasma

Determination of the Interaction Potential of Microspheres in a Plasma

Da nahezu alle Plasmen im Weltraum als auch im Labor staubige Plasmen sind, ist die Wechselwirkung zwischen Staub und Plasma von fundamentaler Bedeutung. Speziell der Einfluß des Plasmas auf die Wechselwirkung der Staubteilchen untereinander ist von großem Interesse, da er zum Beispiel die Effektivität von Koagulationsprozessen beeinflußt und, im Fall von Laborplasmen, das Verhalten von Plasmakristall-Strukturen erklärt, die in den letzten Jahren untersucht wurden.

Since nearly all plasmas in space and in the laboratory are dusty plasmas, the interaction between dust and plasma is of fundamental interest. Especially the plasma influence on the interaction between the particles themselves is of high importance, because it affects for instance the effectivity of coagulation processes and, as in the laboratory plasmas, explains the behavior of plasma-crystal structures which have been studied in recent years.

Daher wurden nun erstmals Experimente durchgeführt, um die Wechselwirkung zwischen Mikropartikeln unter den speziellen Bedingungen zu bestimmen, die typisch für Plasmakristall Experimente sind. Diese Kollisionsexperimente mit Mikrometer großen Kügelchen in der Plasmarandschicht einer Hochfrequenzentladung zeigen, daß die Zweiteilchen-Wechselwirkung parallel zur Randschicht mit der eines Yukawa-Potentials gut übereinstimmt. Es stellt sich heraus, daß Teilchenkollisionen im allgemeinen eine gute Methode zur Bestimmung des Wechselwirkungspotentials darstellen. Zudem eröffnet sich hiermit die Möglichkeit einer vergleichsweise störungsfreien Sondierung einer Plasmarandschicht.

Thus, first experiments have been performed to determine the interaction of microspheres for the special conditions that are typical for plasma-crystal experiments. These collision experiments with micrometer-sized particles in the sheath of a radio-frequency discharge show, that the two-particle-interaction potential parallel to the plasma-sheath boundary coincides with a Yukawa potential. It is demonstrated, that the investigations of colliding particles are in general an appropriate method to obtain the interaction potential. In addition collisions of microspheres open up a new possibility to study the structure of plasma sheaths with comparatively small distortions.

Staubteilchen, die in einem Plasma eingebettet sind, werden ständig von Elektronen, Ionen und Neutralgasteilchen bombardiert. Infolgedessen lädt sich ein jedes Staubteilchen auf, bis der Einfluß seines Oberflächenpotentials ein Gleichgewicht zwischen Elektronen- und Ionenstrom auf die Teilchenoberfläche gewährleistet. Die Netto-Ladung auf den Teichen ist in den durchgeführten Experimenten negativ, da die Elektronen hier eine höhere Beweglichkeit aufweisen als die Ionen. Die Wechselwirkung mit den Neutralgasteilchen macht sich in erster Linie durch eine Dämpfung der Teilcheneigenbewegung bemerkbar, wie sie durch das Epstein-Gesetz beschrieben wird (Stoßreibung).

Dust particles that are embedded into a plasma environment are permanently bombarded by electrons, ions and neutral gas particles. Hence each particle charges up until the influence of its surface potential leads to an equilibrium between the electron and ion current to its surface. The net charge on the particles in the performed experiments is negative, since here the electrons have a higher mobility than the ions. The interactions with neutral gas particles result mainly in damping of the particle movement as it is decribed by the Epstein law (collisional friction).

Das Oberflächenpotential eines geladenen Teilchens im Plasma ist durch eine Ladungsverschiebung in seiner lokalen Umgebung abgeschirmt. Somit nimmt die Wechselwirkungskraft zwischen zwei Staubteilchen mit deren Abstand rasch ab. Für den Fall Boltzmann-verteilter Elektronen und Ionen ist das Phänomen der Abschirmung analytisch gelöst. Ein linerarisierter Ansatz führt dabei zum bekannten Yukawa-Potential, wobei die Ladungen der Teilchen durch Effektivladungen ersetzt werden müssen. Für allgemeinere Bedingungen, wie sie zum Beispiel in den Plasmakristall Experimenten vorkommen, kann jedoch nicht von Boltzmann-Verteilungen ausgegangen werden. Für diesen Spezialfall, bei dem kleine Plastikkügelchen in einer Plasmarandschicht zur Schwebe gebracht werden, ist allgemein bekannt, daß die Ionen aufgrund der Beschleunigung in dem elektrischen Feld der Plasmarandschicht eine stark anisotrope Geschwindigkeitsverteilung haben. Aufgrund der Größe dieser vertikalen Geschwindigkeitskomponente können die Ionen nicht mehr direkt zu einer horizontalen Abschirmung der Staubteilchenladung beitragen. Andererseits wird eben dieser gerichtete Ionenstrom durch die Einwirkung der geladenen Staubpartikel leicht abgelenkt, mit dem Resultat, daß sich unterhalb der Teilchen positive Raumladungszonen ausbilden ("ion focus effect" – Abb. 3.13 a). Zusammen mit den Staubteilchenladungen führt dies zu einer zusätzlichen Dipol-Wechselwirkung zwischen benachbarten Teilchen. Andere Effekte, wie zum Beispiel Oberflächenladungsminderungen auf den Staubteilchen oder auch Abschirmungen von Neutralgasströmen (Abb. 3.13 b), hervorgerufen durch die Anwesenheit anderer Partikel, verschärfen das Problem der theoretischen Bestimmung des Wechselwirkungspotentials zusehends. Daher sind experimentelle Daten zwingend notwendig.

The surface potential of a particle in a plasma is screened by a charge redistribution in its local neighbourhood. Therefore the inter-particle force decreases rapidly with increasing distance. In the case of Boltzmann-distributed electrons and ions this screening phenomenon has been solved analytically. A linearised Ansatz leads to the well-known Yukawa potential, where the charges of the particles have to be replaced by effective charge values. For more general conditions, as they occur for example in laboratory plasma-crystal experiments, we cannot expect to have simple Boltzmann distributions. In this special case, where small plastic spheres are levitated in a plasma sheath, it is well known that the ions have a strong vertical anisotropic velocity distribution due to acceleration in the electric field in the sheath. Because of the magnitude of this vertical velocity the ions cannot contribute directly to the horizontal screening of the charge of the dust particles. On the other hand, this directed ion current is slightly deviated by the particle potentials with the result of an increase in positive space-charge densities below the particles (‘ion focus effect’ – see Fig. 3.13 a). Together with the dust charges this leads to an additional dipole interaction between neighboured particles. Other effects, for instance a charge depletion of the dust particles and screening of neutral currents due to the presence of additional neighbour particles (see Fig. 3.13 b), intensifies the problem to determine the interaction potential from theory considerations alone, which makes experimental data mandatory.

 

Abb. 3.13: Skizzierte Darstellung des "ion-focus effect" (a). Die von oben einströmenden Ionen werden durch die Ladung auf den Staubteilchen abgelenkt. Die Änderung der Ionenbahnen bedingt eine Erhöhung der positiven Raumladung unterhalb der Teilchen. Dies führt zu einer zusätzlichen Dipol-Wechselwirkung zwischen benachbarten Partikeln. Zum anderen wird die Teilchenwechselwirkung auch durch die Abschirmung des Neutralgasstroms durch Nachbarteilchen beeinflußt (b).

Fig. 3.13: Sketch of the so called "ion-focus effect" (a). The streaming ions are influenced by the net charge on the particles´ surface. The change of the ion trajectories leads to an increased positive space charge below the microspheres. Thus, an additional dipole interaction occurs between neighboured particles.In addition a shielding of the permanent neutral flux due to the cross section of a neighbour particle (b) influences the inter-particle potential.

Zwei Sorten von Experimenten wurden hier am Institut in Zusammenarbeit mit dem Institut für Raumsimulation des DLR durchgeführt mit dem Ziel, das Zweiteilchen-Wechselwirkungspotential zu bestimmen. Einerseits werden die Schwingung eines einzelnen Teilchens im Bereich eines einschließenden Potentials in der Plasmarandschicht einer Hochfrequenzentladung untersucht, um eben dieses Potential genau zu vermessen. Andererseits werden die Bahnkurven von zwei in eben diesem Potentialtopf innerhalb der Plasmaranschicht zentral stoßenden gleichen Teilchen analysiert. Dies ermöglicht uns, direkt das Zweiteilchen-Wechselwirkungspotential experimentell zu ermitteln, ohne die Plasmaparameter zu kennen. Als "Nebenprodukte" ergeben sich dabei zudem das Potential, das die Staubteilchen in ihrer Ruhelage hält, als auch ein Wert für die Reibungskräfte, die auf die Teilchen einwirken.

Two types of experiments have been performed here at the institute in collaboration with the institute of space simulation from the DLR with the aim to measure the two-particle interaction. First, the horizontal oscillation of a single particle within a confinement potential in an radio-frequency plasma sheath is investigated to obtain the details of this confinement. Second, the trajectories of two in the same confinement in the plasma sheath centrally colliding identical microspheres are analyzed. This give us the possibility to determine directly the two-particle interaction-potential by experiment without knowing the plasma parameters. In addition, practically as a side effect, we obtain the confining potential that holds the particles in their equilibrium position and also a value for the friction forces acting on them.

Die Experimente wurden in der auch für Plasmakristall-Experimente genutzten Vakuumkammer durchgeführt. Abhängig vom experimentellen Ziel werden ein oder auch zwei Teilchen in das Plasma eingebracht, im Kontrast zu den Plasmakristall- Experimenten, bei denen eine Vielzahl von Partikeln benötigt werden. Die Teilchen sind im Zentrum der Kammer durch das elektrische Potential eines auf einer der Hochfrequenzelektroden plazierten Kupferrings gefangen. (Der experimentelle Aufbau ist in Abb. 3.14 wiedergegeben).

The experiments were carried out in the same vacuum chamber that is used for the plasma-crystal experiments. Depending on the experiment objective, one or two micrometer-sized particles are injected into the plasma in contrast to the plasma crystal experiments where many microspheres are needed. The particles are confined in the center of the chamber by the electric potential of a copper ring that is placed on one of the radio-frequency electrodes and which produces a "trap" (experimental setup see Fig. 3.14).

 

Abb. 3.14: Skizzierter Aufbau des Experiments.

Fig. 3.14: Sketch of the experimental setup.

 

 

Abb. 3.15: Eine Teilchenschwingung um dessen Ruhelage ermöglicht die Bestimmung sowohl des hier abgebildeten Potentialverlaufs als auch eines Wertes für die wirkenden Reibungskräfte. Das Potential zeigt eine gute Übereinstimmung mit dem überlagerten Parabelpotential. Die Reibungskonstante liegt innerhalb einer 20 % Abweichung zur abgeschätzten Reibungskonstante nach dem Epstein Gesetz.

Fig. 3.15: A single-particle oscillation around its equilibrium position allows the determination of the displayed potential as function of the absolute position. In addition a value for the friction force can be estimated. The measured potential is consistent with a parabola potential as given by the solid line. The obtained friction constant is within a 20 % range to the estimated Epstein-drag constant.

Durch eine geeignete Manipulationseinrichtung, die im wesentlichem aus einer modifizierten Langmuir-Sonde besteht, können die Teilchen horizontal innerhalb der Plasmarandschicht verschoben werden. Insbesondere kann ein einzelnes Teilchen aus dem Zentralbereich bewegt und anschließend, an einer anderen Position, wieder freigegeben werden. Aufgrund des vorhandenen Potentialverlaufs, welches durch den Kupferring verursacht wird, wird das Teilchen in Richtung zum Zentrum beschleunigt, wo es entweder mit einem anderen Teilchen zusammenstößt, oder aber, im Falle eines Einteilchen-Experiments, eine gedämpfte Oszillation im "Potentialtopf" ausführt. Letzteres wird genutzt um den Potentialverlauf auszumessen (vgl. Abb. 3.15) und einen Wert für die Reibungskonstante abzuleiten, wobei angenommen wird, daß die Reibungskraft proportional zur Teilchengeschwindigkeit ist. Hierzu wird die Bewegungsgleichung des Einzelteilchens unter Berücksichtigung einer Reibungskraft für ein beliebiges konservatives Potential, das jedoch nur von der Teilchendistanz abhängen darf, integriert. Das Potential ergibt sich dann bis auf eine Konstante direkt aus der Teilchenbahn und der daraus abgeleiteten Teilchengeschwindigkeit. (Hierbei muß allerdings der Wert für die Reibung dahingehend angepaßt werden, daß das ermittelte Potential stetig in der Ortskoordinate ist.)

With the help of an appropriate manipulation device, which consists of a modified Langmuir probe, the particles can be moved horizontally within the sheath. In particular a single particle can be removed from the central region and then set free in its movement again at a different location. Because of the confining potential the particle is accelerated back towards the center. Here it collides with a second particle or, in the case of a single-particle experiment, executes a damped oscillation in the confinement potential. The latter is used to measure the details of the confinement (see Fig. 3.15) and to estimate a value for the friction constant assuming that the friction force is proportional to the particle velocity. To do this the equation of motion for a single particle in an arbitrary conservative confinement potential, that is assumed to depend on particle separation only, is integrated taking a friction force into account. The potential can then be calculated directly from the particle trajectory and its derived velocity except for a numerical constant offset. (In practice, the calculation is somewhat more involved, as the parameter for the friction has to be iterated until the calculated potential is continuous in its spatial dependency.)

In den durchgeführten Einteilchenexperimenten zeigt sich eine gute Übereinstimmung des ermittelten Potentialverlaufs mit einem Parabel-Potential. Somit kann davon ausgegangen werden, daß sowohl das Einzelteilchen als auch der Schwerpunkt eines Zweiteilchensystems eine gedämpfte harmonische Schwingung vollführt. Dieses läßt sich bei der Bestimmung der Teilchenwechselwirkung ausnutzen, indem sowohl die Parabelkonstante des "Potentialtopfs" als auch die Reibungskonstante aus einer Anpassung der Schwerpunktsbewegung zweier stoßender Teilchen an einer gedämpften harmonischen Schwingung ermittelt wird. Das Wechselwirkungspotential entlang der Stoßachse selbst ergibt sich dann, in analoger Weise zur Potentialtopfausmessung, aus der aufgezeichneten Relativbewegung der Stoßpartner. Die experimentellen Daten zeigen eine gute Übereinstimmung mit einem Yukawa-Potential (vgl. Abb. 3.16). Somit liegt es nahe, eine effektive Teilchenladung als auch eine Abschirmlänge aus den gemessenen Wechselwirkungspotentialen zu ermitteln.

The one-particle experiments show that the determined confinement is in good agreement with a parabolic potential. We can therefore assume that a single particle, as well as the center of mass for a two-particle system, will perform a damped harmonic oscillation. This can in turn be used in the measurement of the inter-particle potential by estimating the parabola constant of the confining potential, as well as the friction constant, from a fit of the center-of-mass trajectory of the two colliding particles with a damped harmonic oscillation. The inter-particle potential along the collision axis itself can then be calculated in a similar manner to the confinement measurement, using the relative trajectory of the collision partners. The measurements show a good agreement with a Yukawa potential (see. Fig. 3.16). Consequently it is obvious to quantify an effective particle charge and a screening length from the obtained interaction potential.

 

Abb. 3.16: Das Wechselwirkungspotential, wie es aus typischen experimentellen Daten gewonnen wurde, zeigt eine gute Übereinstimmung mit dem angepaßten Yukawa Potential (durchgezogene Linie).

 

Fig. 3.16: The interaction potential, as determined from typical experimental data, shows a good agreement with a Yukawa potential (solid line).

 

Abb. 3.17: Simulierte relative Teilchentrajektorie einer Zweiteilchenkollision mit Yukawa-Wechselwirkung unter den experimentell vorgegebenen Randbedingungen und den, aus den experimentellen Daten ermittelten, Werten für die effektive Teilchenladung, die Abschirmlänge, die Parabel- und Reibungskonstante. Die experimentell gemessenen Distanzen (Rauten) sind den Simulationsdaten überlagert (durchgezogene Linie).

Fig. 3.17: Simulated relative trajectory of a two-particle collision with a Yukawa-type interaction for the experimentally given boundary conditions and the determined values for effective charge, screening length, parabola and friction constant. The experimentally determined distances (diamonds) are overlaid on the simulated ones (solid line).

Um die abgeleiteten Ergebnisse zu überprüfen, wurden ausgiebige Computersimulationen durchgeführt. Eine Simulation eines Zweiteilchenstoßes unter den im Experiment auftretenden Randbedingungen (Startgeschwindigkeiten, Startpositionen) und den auf die zuvor beschriebene Weise ermittelten Parametern für die Reibung, dem Parabel-Potential, der effektive Teilchenladung und der Abschirmlänge, zeigt eine gute Übereinstimmung zu den experimentellen Daten (vgl. Abb. 3.17).

To confirm the derived results, extensive computer simulations were performed. A two-particle collision simulation with the same boundary conditions as in the experiments (i.e. starting velocities, start positions) together with the previously experimentally determined parameters for friction, confinement, effective charge and screening length shows a very close match to the experimental data (see Fig. 3.17).

Da die Levitationshöhe der Versuchspartikel stark von deren Radius abhängt und somit Sondierungen der wirkenden Potentiale für verschiedene Höhen innerhalb der Plasmarandschicht möglich sind, können Zweiteilchenstöße und Einteilchenoszillationen auch genutzt werden, um ein besseres Verständnis der Vorgänge in weiten Bereichen einer Plasmarandschicht zu erlangen.

Since the levitation height strongly depends on the dust-particle radius and therefore probe measurements of the acting potentials can be performed for different heights, the two-particle collisions as well as the one-particle oscillations can be used also to obtain a better understanding of the physical processes occurring over a large range in a plasma sheath.

 

U. Konopka

 

 

Jahresbericht 1998 / Annual Report 1998


HTML version: 1999-07-29; Helmut Steinle