Tatort: Das Herz der Milchstraße

19. August 2015
Ein internationales Team von Astronomen am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik durchkämmte kosmische Röntgenbilder auf der Suche nach Hinweisen auf die Täter, deren Gewalttaten tiefe Narben im Herzen der Milchstraße hinterlassen haben. Der Hauptverdächtige, ein supermassereiches Schwarzes Loch, lauert im Zentrum der Milchstraße; eine ganze Reihe von massereichen Sternen werden aber auch verdächtigt, in selbstzerstörerischer Weise tätig zu sein.

Die Untersuchung der Röntgenstrahlung aus dem galaktischen Zentrum ist von herausragender Bedeutung für die Astronomie. Eines der ersten großen Projekte, das vom Röntgensatelliten XMM-Newton direkt nach dem Start durchgeführt wurde, war ein Scan des galaktischen Zentrums. Vor kurzem erhielt ein Team unter der Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) einen erneuten Scan mit XMM-Newton und verknüpfte diese Beobachtungen mit allen bisherigen Archivdaten, um so die bisher besten Karten für sowohl die Kontinuums- als auch die Linienemission im Röntgenbereich zu erhalten.

Damit war das Team in der Lage, die Auswirkungen von katastrophalen Ereignissen, die große Mengen an Energie freigesetzt haben, im Detail zu charakterisieren. Die forensische Untersuchung führte insbesondere zu der Entdeckung, welche Auswirkungen riesige Plasmablasen mit dutzenden Lichtjahren Durchmesser, die Röntgenstrahlen emittieren, auf ihre Umwelt haben. Diese Blasen in der Mitte der Milchstraße beinhalten insbesondere riesige Hohlräume in Gas, Staub und kühlerem Plasma.

Einer der aufschlussreichsten Hinweise aus den Röntgenbildern sind zwei bipolare "Flügel", die Dutzende von Lichtjahren oberhalb und unterhalb der galaktischen Ebene hinausragen und auf das supermassereiche Schwarze Loch zentriert sind. Frühere Indizien hatten bereits auf das schwarze Loch hingedeutet, die neuen Erkenntnisse ertappen es zusammen mit seiner stellaren Bande nun aber auf frischer Tat, wie sie ihre Gewalttaten begehen. In der Tat, müssen die Quellen an Materie und Energie, die für diese bipolaren Flügel aus heißem, Röntgen-strahlendem Gas notwendig sind, entweder Abflüsse sein, die sehr nahe vom Ereignishorizont des supermassereichen schwarzen Lochs abgehen, Winde von massereichen Sternen in der Umlaufbahn um das Loch oder katastrophale Ereignisse, die mit dem Tod von massereichen Sternen in seiner Nähe in Zusammenhang stehen.

Das Team entdeckte außerdem die Fingerabdrücke von warmem Plasma in den Außenbereichen der Bildregion (Hunderte von Lichtjahren). Dies deutet darauf hin, dass die Gewalttaten in der Mitte der Milchstraße Auswirkungen haben, die weit über diese zentrale Region hinausgehen. Das neu entdeckte Plasma könnte mit einer Art inhomogener heißer "Atmosphäre" aus heißem Gas zusammenhängen, die die zentralen Regionen der Galaxie durchdringt und vielleicht durch (kontinuierliche oder episodische) Abflüsse von Masse und Energie aus dem Milchstraßenkern gespeist wird. Ähnliche Strukturen werden gelegentlich in den Zentren anderer Galaxien beobachtet. Doch dank der Nähe des Milchstraßenzentrums können die XMM-Newton-Karten dieses Phänomen hervorragend im Detail darstellen.

Außerdem wurde eine weitere große Störung in dieser gefährlichen Region entdeckt: einige "Superblasen", riesige Hohlräume mit zig Lichtjahren Durchmesser aus heißem Plasma, das weiche Röntgenstrahlung emittiert. Eine einzelne solche Region enthält eine Energiemenge von mindestens 1051 erg (in etwa die Gesamtenergie der Sonne, die sie im Laufe ihrer 10 Milliarden Jahre Lebensdauer emittiert)! Die Daten zeigen, dass diese riesige Struktur in den letzten zehntausend Jahren durch starke Winde von den massereichsten Sternen des spektakulären Quintuplet-Sternhaufens und katastrophale Ereignisse wie Explosionen massereicher Sterne aufgeblasen wurde. Die Freisetzung von derartig großen Mengen an Energie hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der interstellaren Materie im galaktischen Zentrum.

Damit haben die Wissenschaftler - während der Tatort weiterhin rekonstruiert wird - mit diesen neuen Röntgenbildern schon eine viel klarere Vorstellung davon, was in den letzten paar Milliarden Jahren passiert sein dürfte - und wie sich unsere Milchstraße auch in Zukunft weiterentwickeln könnte. Eines ist klar: die Gewalt in der Nachbarschaft des galaktischen Zentrums wird zweifellos auch in Zukunft weiterhin andauern.

Danksagung

Das "Galactic Centre XMM-Newton monitoring" Projekt wird unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie/Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (BMWI/DLR, FKZ 50 OR 1408) und von der Max-Planck-Gesellschaft.

 

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