Futter für junge Zwillingssterne

Astronomen beobachten, wie zwei Sonnen in einem Doppelsystem Materie aufsammeln

4. Oktober 2019

Sterne werden inmitten großer Wolken aus Gas und Staub geboren. Aus lokalen Verdichtungen bilden sich zunächst „Embryos“, die dann Materie aufsammeln und dabei heranwachsen. Doch wie läuft dieser Prozess, Akkretion genannt, genau ab? Und was, wenn in einer Materiescheibe gleich zwei Sterne entstehen? Detailreiche Bilder eines solchen jungen Doppelsystems zeigen nun zum ersten Mal ein komplexes Netzwerk von Filamenten, die zwei sogenannte Protosterne in der Mitte der gemeinsamen Akkretionsscheibe speisen. Mit diesen Beobachtungen wies ein Team unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik einen zweistufigen Akkretionsprozess nach, der wichtige Informationen über die Bedingungen bei der Entstehung und Entwicklung von Doppelsternsystemen liefert.

Sterne sind längst keine Einzelgänger, im Gegenteil gehören die meisten von ihnen Doppel- oder gar Mehrfachsystemen an. Und entsprechend oft kommt es zu „Mehrlingsgeburten“. Eine solche haben Astronomen jetzt mit dem in der chilenischen Atacamawüste stationierten Teleskopverbund ALMA beobachtet – in einem Sternsystem namens [BHB2007] 11. Es ist das jüngste Mitglied einer kleinen Gruppe junger Sonnen im Barnard 59-Kern, einem Teil der als Pfeifennebel bekannten, ausgedehnten interstellaren Dunkelwolke.

Während die Astronomen früher nur eine Akkretionshülle um eine gemeinsame Scheibe erkannten, zeigen die neuen Beobachtungen nun auch deren innere Struktur. „Wir sehen zwei kompakte Quellen, die wir als Materiescheiben um die beiden jungen Sterne interpretieren“, sagt Teamleiter Felipe Alves vom Garchinger Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. „Diese Scheiben haben jeweils eine Größe ähnlich dem Asteroidengürtel in unserem Sonnensystem, und ihr gegenseitiger Abstand beträgt etwa die 28fache Distanz zwischen Erde und Sonne.“

Beide Protosterne sind zudem von einer Scheibe mit einer Gesamtmasse von etwa 80 Jupitermassen umgeben – einem komplexen Netzwerk aus Staub, der in spiralförmigen Strukturen verteilt ist. Die Form der Filamente deutet auf die Bahnen von einfallendem Material hin, was zudem die Beobachtung von molekularen Emissionslinien bestätigt.

„Das ist ein wirklich wichtiges Ergebnis“, sagt Paola Caselli, Direktorin am Max-Planck-Institut in Garching und Leiterin des Zentrums für Astrochemische Studien. „Wir haben nun endlich ein Bild von der Struktur um junge Doppelsterne und sehen insbesondere Filamente, die diese aus der gemeinsamen Scheibe speisen.“ Dies liefere wichtige Informationen, um die derzeitigen Modelle der Sternentstehung zu verbessern.

Die Astronomen halten die Filamente für Zuflüsse aus der ausgedehnten umliegenden Scheibe. Dabei wird der stellaren Scheibe um den weniger massereichen der beiden Protosterne mehr Materie zugeführt, was mit den theoretischen Vorhersagen übereinstimmt. Die geschätzte Akkretionsrate beträgt nur etwa 0,01 Jupitermassen pro Jahr; dieser Wert deckt sich mit den geschätzten Raten für andere protostellare Systeme.

Während die gemeinsame Scheibe die einzelnen Scheiben um jeden Protostern speist, wird in einem zweiten Prozess von jeder stellaren Scheibe Materie auf den jungen Stern in ihrem Zentrum übertragen. In diesem Fall ist die Akkretionsrate für den massereicheren Protostern höher; er sammelt also mehr Material an.

„Wir erwarten, dass der zweistufige Prozess die Dynamik des Doppelsternsystems während seiner Akkretionsphase antreibt“, sagt Felipe Alves. „Die gute Übereinstimmung dieser Beobachtungen mit der Theorie ist recht vielversprechend. Wir müssen aber mehr junge Doppelsternsysteme im Detail untersuchen, um Genaueres über die Bedingungen zu erfahren, die zu Mehrfachsternsystemen führen.“

 HAE / HOR

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