Diffuse stellare Halos in elliptischen Galaxien

Forschungsbericht (importiert) 2008 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Autoren
Gerhard, Ortwin
Abteilungen
Optische und Interpretative Astronomie (Prof. Dr. Ralf Bender)
MPI für extraterrestrische Physik, Garching
Zusammenfassung
Elliptische Galaxien sind von ausgedehnten, diffusen stellaren Halos umgeben. In dichten Galaxienhaufen kommen diese Halos einander nahe und können von den Galaxien abgelöst werden, um Teil des so genannten Intra-Haufen-Lichts zu werden. Mithilfe von Planetarischen Nebelsternen konnte die Kinematik und Dynamik einiger dieser Halos untersucht werden, wodurch sich neue Aspekte für die Bildung und fortschreitende Entwicklung dieser Galaxien ergeben.

Die Halos elliptischer Galaxien

Elliptische Galaxien enthalten die ältesten Sternpopulationen im Universum. Sie finden sich in den dichteren Regionen des Universums, besonders häufig in den Galaxienhaufen. Im modernen Bild der Strukturbildung im hierarchischen Universum stellen sie das am weitesten fortgeschrittene Stadium der Galaxienbildung dar: Sie haben schon verschiedene Wechselwirkungs- und Verschmelzprozesse mit anderen Galaxien hinter sich, die meisten ihrer Sterne sind vor langer Zeit entstanden, und es ist kaum noch Gas vorhanden, aus dem sich neue Sterne bilden könnten. Der Großteil des bei der Sternbildung nicht verbrauchten Gases hat die Galaxie verlassen oder, besonders in den massereicheren Systemen, findet sich in einer heißen, röntgenstrahlenden, quasi-statischen Atmosphäre.

Während die hellen inneren Bereiche elliptischer Galaxien schon lange gut untersucht sind, haben genaue photometrische Messungen erst in den letzten Jahren gezeigt, dass diese Galaxien von sehr ausgedehnten Halos umgeben sind. Das Helligkeitsprofil fällt dort nach außen immer weiter ab, bis die Helligkeiten weit unter denen des Himmelshintergrunds liegen. Abbildung 1 zeigt eine sehr tiefe Aufnahme vom dichtesten Teil des Virgo-Galaxienhaufens, in der die Halos der drei großen elliptischen Galaxien und auch der Übergang in das diffuse, so genannte Intra-Haufen-Licht zwischen ihnen gut sichtbar sind. Diese Halos können nur in nahen Galaxien studiert werden; in entfernten jungen Galaxien sind sie weit unter der Detektionsgrenze.

Wie alle Galaxien sind auch elliptische Galaxien wahrscheinlich von massereichen Halos aus dunkler Materie umgeben, jedoch ist die Evidenz hier nicht so gut wie für Spiralgalaxien, da es im Allgemeinen keine ausgedehnte Gasscheibe gibt, deren Rotation man einfach zur Massenbestimmung verwenden kann. Messungen mit dem Gravitationslinseneffekt, Bestimmungen des Drucks in der Gasatmosphäre aus Röntgenspektren und Analysen der Sternbahnen haben es aber erlaubt, zumindest in den massereichen elliptischen Galaxien die dunkle Materie nachzuweisen und ihre Massenverteilung zu untersuchen.

Die Sterne in elliptischen Galaxien bewegen sich in ihrem eigenen Schwerefeld und dem der dunklen Materie, auf Bahnen, die den Prozess der Entstehung und dynamischen Entwicklung der Galaxie widerspiegeln. Dabei sind die Bahnzeiten umso länger, je weiter sich die Sterne vom Zentrum entfernt aufhalten und erreichen in den äußersten Bereichen einen wesentlichen Bruchteil des Alters der Galaxie. In den Halos sollten die fossilen Signaturen der Entstehungsprozesse daher noch am besten erhalten sein.

Kinematik mit Planetarischen Nebelsternen

In den hellen Innenbereichen elliptischer Galaxien lassen sich die mittlere Geschwindigkeit der Sterne und ihre mittlere zufällige Geschwindigkeit oder Geschwindigkeitsdispersion aus den Absorptionslinien im Spektrum messen. Die dynamische Analyse dieser Daten zeigt, dass dort die Sternbahnen eine nahezu isotrope Verteilung haben. In den Außenbereichen, bei Radien von >10 Kiloparsec, können bei den extrem schwachen Helligkeiten diese Messungen nicht mehr durchgeführt werden. Als Alternative bietet sich an, nach Planetarischen Nebelsternen (PN) zu suchen und deren Radialgeschwindigkeiten zu messen. PN sind sonnenartige Sterne in einer kurzen Phase vor ihrem Erlöschen, in der für eine Dauer von ca. 20.000 Jahren ein großer Teil der Leuchtkraft des Sterns in wenigen Gas-Emissionslinien wie der des Sauerstoffs bei 5007 Å Ruhewellenlänge ausgesendet wird. In dieser Linie werden die Sterne dann weithin sichtbar. PN sind representativ für die ganze Sternpopulation, aber relativ selten: Man findet ca. 1 PN für je 108–109 Sterne, typisch einige hundert PN in einer normalen elliptischen Galaxie. Ihre Radialgeschwindigkeiten lassen sich aus der Rotverschiebung der Sauerstoffemissionslinie messen. Wegen der enormen Entfernungen braucht man allerdings ein großes Teleskop. Die Strahlungsintensität, die das Teleskop von einem PN im Virgo-Galaxienhaufen erreicht, ist vergleichbar mit der einer Glühlampe auf dem Mond. Die meisten PN-Geschwindigkeiten in elliptischen Galaxien wurden daher entweder mit Spektrographen an 8-m-Teleskopen wie Very Large Telescope der ESO oder Subaru, oder mit dem spezialisierten Planetary Nebula Spectrograph (PN.S) am 4-m William Herschel Telescope auf La Palma gewonnen. Der PN.S beruht auf dem „counterdispersed imaging“ Prinzip. Zwei Bilder der PN-Sauerstoffemission werden auf dem CCD erzeugt, aus deren Winkeldistanz die Rotverschiebung der Emissionslinie und damit die Radialgeschwindigkeit bestimmt wird.

Diffuse dunkle Halos oder radial anisotrope Sternbahnen?

Erste Ergebnisse mit dem PN.S ergaben ein erstaunliches Resultat: In mehreren „normalen“ elliptischen Galaxien fiel die aus den Radialgeschwindigkeiten der PN bestimmte mittlere Geschwindigkeits-Dispersion der Sterne stark nach außen ab (Abb. 2). Hatten diese Galaxien keine dunklen Halos um sich, wie alle anderen Galaxien und wie man es aus den modernen kosmologischen Theorien erwarten würde?

Vor kurzem konnte mithilfe moderner dynamischer Modelle gezeigt werden, dass die Messungen nicht nur mit einer nahezu isotropen Sternverteilung in einem quasi-Keplerschen Potential verträglich waren, sondern auch mit der Existenz einigermaßen massereicher Halos, vorausgesetzt, die Verteilung der Sternbahnen wäre stark radial anisotrop, d. h. die meisten Sterne im Halo bewegen sich hauptsächlich in radialer Richtung einwärts und auswärts. Solche Verteilungen waren vorher nicht in Betracht gezogen worden, weil man von der ungefähren Isotropie der inneren Bereiche wusste, und weil stark radial anisotrope Sternsysteme als instabil bekannt waren – ohne dunkle Halos. Die neuen Modelle haben gezeigt, dass stark radial anisotrope Sternverteilungen in dunklen Halos stabil sind. In Galaxien wie NGC 3379 in Abbildung 2 lässt sich daher die Frage „massereicher dunkler Halo oder radiale Anisotropie“ nicht entscheiden – für diese Galaxien fehlt unabhängige Information über entweder das Gravitationspotential oder über die Verteilung der Sternbahnen.

Solche unabhängige Information hat man aber in den massereichsten elliptischen Galaxien. Diese Galaxien enthalten eine röntgenstrahlende heiße Gasatmosphäre, deren Druck und Temperatur man messen kann. Da sich die Gasatmosphäre im ungefähren hydrostatischen Gleichgewicht befindet, lässt sich das Gravitationspotenzial und die Massenverteilung unabhängig von den Sternbahnen bestimmen. Wenn dann noch die Geschwindigkeitsdispersion der Sterne aus PN Radialgeschwindigkeiten bekannt ist, lässt sich auch die Bahnverteilung bestimmen. Solche Daten gibt es nun für einige wenige massereiche elliptische Galaxien. Ein kürzlich untersuchtes Beispiel ist die elliptische Riesengalaxie M87 im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens (Abb. 1). Bis hinaus zu 150 kpc Distanz vom Zentrum konnten PN gefunden und anhand ihrer Geschwindigkeiten das Dispersionsprofil bestimmt werden (Abb. 2). Es zeigt einen dramatischen Abfall auf nur noch 75 km/s. Dynamische Modelle zeigen: M87 muss einen stark radial anisotropen Halo haben.

Wie lässt sich das erklären? Abadi et al. [3] haben die Bildung isolierter elliptischer Galaxien im hierarchischen Universum simuliert. In diesen Modellen bilden sich die Halos dieser Galaxien durch die fortlaufende Akkretion von kleineren Galaxien, die sich dann im Schwerefeld der großen Galaxie auflösen. Diese kleinen Galaxien fallen auf nahezu radialen Bahnen in die große Galaxie ein, und ihre Sterne folgen ähnlichen Bahnen, nachdem ihre Muttergalaxien sich aufgelöst haben.

Nächste Schritte

Inzwischen sind PN.S-Daten für etwa ein Dutzend elliptischer Galaxien verfügbar. Diese Beobachtungen haben gezeigt, dass diese Galaxien sich nach ihren kinematischen Eigenschaften in zwei Gruppen aufspalten. Eine Gruppe zeigt leicht fallende Dispersionsprofile, die andere stark fallende. In vielen Objekten findet sich der Großteil des gesamten Drehimpulses im Halo (Abb. 3), und die Unterteilung in schnellrotierende und langsam rotierende Galaxien ist komplizierter als man aufgrund der Eigenschaften der Galaxienzentren dachte. Sehr wahrscheinlich reflektieren die unterschiedlichen kinematischen Strukturen die verschiedenen Verschmelzungsprozesse bei der Entstehung elliptischer Galaxien, je nachdem, ob eine Galaxie sich aus vielen oder nur zwei, aus gasreichen oder gasarmen Einheiten, bei hoher Rotverschiebung oder vor relativ kurzer Zeit gebildet hat. Aus der weiteren dynamischen Analyse der Beobachtungen und dem Vergleich mit Simulationen dieser Verschmelzungsprozesse lassen sich wesentliche neue Erkenntnisse zur Galaxienbildung erwarten.

Der Übergang zum diffusen Intra-Haufen-Licht

Die oben beschriebene PN-Beobachtungen in M87 haben noch ein anderes, erstaunliches Ergebnis gezeigt. Außerhalb eines Radius von 150 kpc gibt es offenbar keine PN mehr, die kinematisch zu M87 gehören. Weiter draußen gibt es nur noch PN- Sterne, deren Geschwindigkeiten zeigen, dass sie sich durch den ganzen inneren Kern des Virgo-Galaxienhaufens bewegen – diese Sterne gehören zu einer diffusen, Intra-Haufen-Sternpopulation. Ein Teil der Intra-Haufen-Sterne um M87 gehört kinematisch zur Vorhut von M86, einer anderen großen elliptischen Galaxie, die von hinten in den Virgo-Galaxienhaufen einfällt und in einigen Milliarden Jahren mit M87 verschmelzen wird. Allgemein findet man in den Zentren von Galaxienhaufen diffuses Licht, das nicht von Galaxien stammt. Es gehört zu einer Intra-Haufen-Population, deren Sterne vermutlich vorzugsweise von massereichen Galaxien „verloren“ wurden, als diese sich entlang ihrer Bahnen durch die starken Gezeitenfelder im Zentrum des Galaxienhaufens bewegten. Einige dieser Galaxien sind vermutlich inzwischen vollstandig aufgelöst oder mit der zentralen Galaxie des Haufens verschmolzen.

Warum endet der stellare Halo von M87 bei 150 kpc? In einem hierarchischen Universum sollten ständig kleinere Galaxien aus immer größerer Entfernung akkretiert werden, und somit würde man die Sterne dieser Satelliten bis hinaus zum Virialradius von M87 erwarten, bis etwa 450 kpc. Konnten diese entfernten Satelliten keine Sterne bilden bevor sie von M87 verschluckt wurden, eventuell wegen der vom zentralen Schwarzen Loch geheizten heißen Gasatmosphäre um M87? Oder hat der Kollaps des Virgo-Galaxienhaufens die Akkretion auf M87 beendet? Oder ist M87 nicht ganz im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens, und die Gezeitenfelder haben ihre äußersten Schalen abgelöst, so wie es galaktischen Kugelsternhaufen im Gravitationsfeld der Milchstraße geschieht? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es einer ausgedehnteren Studie mit wesentlich mehr PN als bisher beobachtet werden konnten – bisher wurden keine von M87 „verlorenen“ PN-Sterne gefunden.

Originalveröffentlichungen

1.
J.C. Mihos, P. Harding, J. Feldmeier, H. Morrison:
Diffuse Light in the Virgo Cluster.
The Astrophysical Journal 631, L41-L44 (2005).
2.
F. De Lorenzi, O. Gerhard, L. Coccato, M. Arnaboldi, M. Capaccioli, N.D. Douglas, K.C. Freeman, K. Kuijken, M.R. Merrifield, N.R. Napolitano, E. Noordermeer, A.J. Romanowsky, V.P. Debattista:
Dearth of dark matter of massive dark halo? Mass-shape-anisotropy degeneracies revealed by NMAGIC dynamical models of the elliptical galaxy NGC 3379.
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 398, online (2009); doi:10.1111/j.1365-2966.2009.14553.x.
3.
M.G. Abadi, J.F. Navarro, M. Steinmetz:
Stars beyond galaxies: the origin of extended luminous haloes around galaxies.
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 365, 747-758 (2006).
4.
L. Coccato, O. Gerhard, M. Arnaboldi, P. Das, N.D. Douglas, K. Kuijken, M.R. Merrifield, N.R. Napolitano, E. Noordermeer, A.J. Romanowsky, M. Capaccioli, A. Cortesi, F. De Lorenzi, K.C. Freeman:
Kinematic properties of early-type galaxy haloes using planetary nebulae.
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 394, 1249-1283 (2009).
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