Das Gerüst der Materieverteilung im Universum sichtbar gemacht

Forschungsbericht (importiert) 2007 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Autoren
Finoguenov, Alexis; Böhringer, Hans; Guzzo, Luigi; Hasinger, Günther
Abteilungen
Röntgen- und Gammastrahlen-Astronomie (Dr. Peter Predehl)
MPI für extraterrestrische Physik, Garching
Zusammenfassung
Die Bildung der großräumigen Struktur im Universum wird im Wesentlichen durch die Dunkle Materie bestimmt, die den Hauptteil der Materiedichte ausmacht. Die sichtbare Materie bietet somit ein indirektes Abbild der kosmischen Materieverteilung. Im Himmelsdurchmusterungsprojekt COSMOS [1] ist es gelungen, das bisher detailreichste, direkte Abbild der Dunklen Materie auf einer 1,6 Quadratgrad großen Himmelsfläche zu erstellen. Damit wird erstmals das Gerüst der Materieverteilung im Detail sichtbar, sowohl in der Winkelauflösung am Himmel als auch dreidimensional in der Tiefe. Es besteht aus einem lockeren Netzwerk von Filamenten, die sich in massereichen Strukturen, identifizierbar mit Galaxienhaufen, schneiden. Dieses Ergebnis ist in guter Übereinstimmung mit Simulationen der Struktur-Bildung in kosmologischen Standardmodellen.

Die COSMOS-Durchmusterung

Die bekannten Materieteilchen wie Protonen, Elektronen und Neutronen, kurz unter Vernachlässigung der leichten Teilchen „baryonische Materie“ genannt, machen nur etwa 1/6 der kosmischen Materiedichte aus. Den Rest bildet die hypothetische Dunkle Materie, die außer durch die Gravitation nur unmerklich mit der übrigen Materie wechselwirkt und daher auch nicht sichtbar ist. Da die Gravitation in der Lage ist Lichtstrahlen abzulenken, wirken Materiekonzentrationen als „Gravitationslinsen“. Diesen Gravitationslinseneffekt kann man nutzen, um auf die Verteilung der Dunklen Materie zu schließen. Diesen Effekt kann man leicht durch eine einfache Analogie verdeutlichen: In einem Schwimmbecken mit einer welligen Wasseroberfläche entstehen auf dem Beckenboden Lichtmuster, die von der durch die Lichtbrechung hervorgerufenen Lichtablenkung herrühren. In ähnlicher Weise kann aus dem durch die Gravitationslinsenwirkung hervorgerufenen Muster in der Abbildung von Hintergrundgalaxien die kosmische Materieverteilung in der COSMOS- Himmelsdurchmusterung („Cosmic Evolution Survey“) rekonstruiert werden.

Grundlage der Untersuchungen bildet die COSMOS-Himmelsdurchmusterung, eine Kartierung des Himmels in vielen verschiedenen Wellenlängen, deren Kernstück die Abbildung eines 1,6 Quadratgrad großen Gebiets am Himmel mit der neuen ACS-Kamera des Hubble Space Teleskops (HST) bildet. Die Himmelskarte besteht aus insgesamt 575 überlappenden Einzelaufnahmen mit der ACS-Kamera. In den sehr scharfen Bildern des HST kann eine Verformung von Galaxienbildern durch den Gravitationslinseneffekt besonders gut nachwiesen werden. Die COSMOS- Durchmusterung ist die bisher größte Himmelsfläche, die mit HST tief genug belichtet wurde, um eine solche Untersuchung der Gravitationslinsenwirkung durchzuführen. Ingesamt nutzt man dazu detaillierte Abbildungen von etwa einer halben Million Galaxien in dieser zusammenhängen Himmelskarte.

Die Analyse der Gravitationslinsenwirkung liefert nun eine Karte der Massenverteilung der Dunklen und leuchtenden Materie, wie sie in einer Projektion an den Himmel beobachtet wird [2]. Die Materieverteilung zeigt eine filamentartige Struktur mit starken Dichtekonzentrationen, meist an den Kreuzungspunkten der Filamente. Diese dichtesten Gebiete kann man mit Galaxienhaufen identifizieren. In diesen Galaxienhaufen ist die Galaxiendichte 100 bis 10.000-mal höher als im Mittel der Verteilung, weshalb diese Gebiete daher auch sehr deutlich in der Galaxienverteilung sichtbar sind. Durch die Bestimmung photometrischer Rotverschiebungen kann man die Entfernung der Dichtekonzentrationen abschätzen, da die typischen Galaxienfarben entsprechend ihrer Entfernung „rotverschoben“ sind. Eine genaue Entfernungsmessung erfordert jedoch die Spektroskopie der Galaxien im Galaxienhaufen, was auch im Rahmen des COSMOS-Projektes gemacht wird. Somit sind dann die genauen Entfernungen der meisten der hohen Verdichtungen bekannt.

Galaxienhaufen lassen sich auch sehr gut im Röntgenlicht nachweisen. Die Röntgenstrahlung kommt dabei von heißem Gas, das im Gravitationspotenzial der Haufen gebunden ist. Bei der Bildung der Haufen wurde es durch die freiwerdende potenzielle Energie auf sehr hohe Temperaturen von einigen 10 Millionen Grad erhitzt. Um mittels des heißen Gases die Galaxienhaufen nachzuweisen, wurde das COSMOS-Feld auch mit dem Europäischen Röntgensatelliten XMM-Newton beobachtet [3]. Die Röntgenkarte zeigt die Galaxienhaufen nun als ausgedehnte Röntgenquellen. Ein Vergleich dieser Röntgenkarte mit der Karte der projizierten Galaxienverteilung zeigt, wie in Abbildung 1 dargestellt, dass die Galaxienkonzentrationen gut mit den durch die Röntgenstrahlung nachgewiesenen Galaxienhaufen übereinstimmen. Durch die photometrisch geschätzten Rotverschiebungen der Galaxien können die optisch nachgewiesenen Galaxienhaufen in verschiedene Entfernungsklassen eingeteilt und entsprechend farblich markiert werden.

Die Verteilung der Dunklen Materie

In gleicher Weise wie die Anzahldichte kann auch die Dichte des integrierten Lichtes aller Galaxien in einer Himmelskarte dargestellt und mit der Karte der Linsenwirkung und der Röntgenkarte verglichen werden. Beim Vergleich der Leuchtkraftdichten- und der Linsenwirkungskarte wird noch die verschiedene Empfindlichkeit der Nachweismethoden berücksichtigt. Die Linsenwirkung liefert das stärkste Signal, wenn die Linse sich etwa in halber Entfernung zu den Hintergrundgalaxien befindet. Für sehr nahe und sehr entfernte Massen ist die Methode daher nicht so empfindlich, während die integrierte Helligkeit der Galaxien mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Im Vergleich der Massen- und Lichtverteilung wird dies mit einer von der Entfernung abhängigen Wichtung des Signals berücksichtigt. Der Vergleich der Licht- und Massenverteilung zeigt, dass die leuchtende, baryonische Materie und die Dunkle Materie auf größeren Skalen in proportionalen Verhältnissen vertreten sind.

Abbildung 2 zeigt in ihrer Gesamtheit den Vergleich der vier verschiedenen Indikatoren der Massenverteilung. Die Gravitationslinsenwirkung, die durch die Dunkle Materie bestimmt wird, ist in Form von Konturen dargestellt, die Galaxienmasse ist blau, die Galaxienanzahldichte gelb und die Röntgenstrahlung des heißen Haufengases rot gekennzeichnet. Die Verteilung der baryonischen Materie folgt der Dunklen Materie sehr gut. Die Verteilung der Dunklen Materie zeigt dichte Gebiete, die untereinander durch filamentartige Strukturen verbunden sind. Diese repräsentieren die blasenförmige und filamentartige, großräumige Struktur des Universums, die auch durch Vielteilchensimulationen mit gravitativer Wechselwirkung auf großen Rechenanlagen erzeugt wird. Die Filamente entstehen dabei dadurch, dass Verdichtungen unter ihrer eigenen Schwerkraft zuerst in zwei Raumrichtungen kollabieren. Durch weiteren Kollaps in der dritten Richtung entstehen dann die Galaxienhaufen. Die dichtesten Gebiete in den Kreuzungspunkten der spinnwebenartigen Struktur („Cosmic Web“) fallen mit den im Röntgenlicht beobachteten Galaxienhaufen zusammen. Die Galaxiendichte in den Filamenten ist ungefähr doppelt so hoch wie in den Leerräumen dazwischen. In den Galaxienhaufen steigt die Dichte der Galaxien nochmals dramatisch an, in der Projektion bis zu einem Faktor 5.

Die prominenteste Dichtespitze in allen vier Verteilungen bildet ein Galaxienhaufen bei einer Rotverschiebung von z=0.73 (bei α:149,9º und δ: 2,5º). Die Röntgenstrahlung skaliert mit dem Quadrat der Dichte des röntgenleuchtenden Gases und zeichnet somit den zentralen Teil des Galaxienhaufens nach. Die Temperatur des heißen Haufenplasmas beträgt 40 Millionen Grad, die Röntgenleuchtkraft 1.6×1044 erg/s (im Energiebereich 0.1 – 2.4 keV) und die Haufenmasse kann mit etwa 2×1014 Sonnenmassen abgeschätzt werden. Die Masse, mit der der Galaxienhaufen als Gravitationslinse wirkt, ist aber mit einem geschätzten Wert von etwa 6×1015 Sonnenmassen viel größer. Dies liegt daran, dass bei der Linsenwirkung auch die Dichtekonzentration in der Umgebung des Haufens mitwirkt, und daher das Gebiet größer ist, über das die Masse integriert wird. Der Galaxienhaufen muss sich in einem größeren Materiehalo befinden, der zur Linsenmasse beiträgt und aus dem ein weiteres Wachstum des Galaxienhaufens gespeist wird. Abbildung 3 zeigt zwei der insgesamt 220 im COSMOS-Survey entdeckten Galaxienhaufen und Galaxiengruppen im Röntgen- und im optischen Licht.

Das Wachstum kosmischer Strukturen

Das Wachstum der großräumigen Struktur auf kosmischen Zeitskalen wird in Abbildung 4 veranschaulicht. Dazu wird die Population der Hintergrundgalaxien in der Linsenwirkungsanalyse in drei Entfernungsschalen geteilt, sodass eine maximale Linsenwirkung für Massenverteilungen bei Rotverschiebungen von z = 0.3, 0.5 und 0.7 entstehen. Wir nutzen dazu die photometrisch (an Hand der Galaxienfarben) geschätzten Rotverschiebungen, um die Galaxienverteilung in groben Zügen als dreidimensionale Verteilung charakterisieren zu können. Die in Abbildung 4 unten noch feiner dargestellte dreidimensionale Massenverteilung erhält man aus einer feineren Entfernungsaufspaltung der Galaxienpopulation für die Linsenanalyse. Man beobachtet ein Wachstum der kosmischen Struktur, deren Dynamik sich aus dem Wechselspiel von gravitativer Anziehung und Expansion des Universums ergibt.

Originalveröffentlichungen

1.
Scoville, N. et al.
The Cosmic Evolution Survey (COSMOS): Overview.
Astrophysical Journal Supplement 172, 1-15 (2007)
2.
Massey, R. et al.
Dark matter maps reveal cosmic scaffolding.
Nature 445, 286 (2007)
3.
Hasinger, G. et al.
The XMM-Newton Wide-Field Survey in the COSMOS Field. I. Survey Description
Astrophysical Journal Supplement 172, 29 (2007)
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