Erfolgreicher Start der Euclid-Mission

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Autoren
Bender, Ralf;  Fabricius, Maximilian; Grupp, Frank; Saglia, Roberto; Sanchez, Ariel
 
Abteilungen
Optische und Interpretative Astronomie (OPINAS)
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
Zusammenfassung
Dunkle Materie und Dunkle Energie tragen 95 Prozent zum Materie-Energie-Gehalt des Universums bei, sind aber nach wie vor völlig unverstanden. Die ESA-Mission Euclid ist die erste Weltraummission, welche die raumzeitliche Entwicklung dieser beiden dunklen Komponenten des Universums analysieren wird. Dazu werden 1,5 Milliarden Galaxien in bis zu zehn Milliarden Lichtjahren Entfernung bei optischen und nahinfraroten Wellenlängen vermessen. Die Verteilung der Galaxien und ihre Gravitationslinsenwirkung auf Hintergrundgalaxien liefern direkte Hinweise auf die Natur der dunklen Seite des Alls.

Die Euclid-Mission  [1]  der European Space Agency (ESA) wurde am 1. Juli 2023 von Cape Canaveral mit einer Rakte vom Typ SpaceX Falcon-9 gestartet und begann im Februar 2024 mit der sechsjährigen Datengewinnungsphase. Euclid ist nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch in technischer Hinsicht außergewöhnlich: Die Kameras von Euclid besitzen die größte Detektorfläche und die größte Anzahl von Pixeln (576 Millionen Pixel im optischen Bereich und 64 Millionen Pixel im Infraroten), die je in einem Weltraumsatelliten zum Einsatz kamen. Die Euclid-Datenrate von etwa 100 Gigabyte pro Tag ist um ein Vielfaches größer als die der Weltraumteleskope Hubble oder James Webb. Euclid produziert in wenigen Wochen mehr Daten als Hubble in mehr als 30 Jahren Betriebsdauer.

In technischer Hinsicht war insbesondere die Herstellung der Optik für die Euclid Infrarot-Kamera NISP extrem herausfordernd. Das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) hat dabei unter Leitung von Frank Grupp zusammen mit der Industrie und der Unterstützung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) das größte Linsensystem entwickelt, das je in den Weltraum gestartet wurde. Die vier Linsen mit bis zu 18 Zentimeter Durchmesser und 1,7 Kilogramm Gewicht mussten dabei mit einer Präzision von weniger als einem Zehntel der Dicke eines menschlichen Haares positioniert und darüber hinaus so stabil gelagert werden, dass sie sowohl den Start als auch die Abkühlung auf -140 Grad Celsius im Weltraum ohne Justageverlust überstehen konnten. Die mittlerweile seit über einem Jahr von Euclid gewonnenen Beobachtungsdaten beweisen überzeugend die hervorragende Leistungsfähigkeit des am MPE gebauten Linsensystems.

Unser Institut beherbergt auch eines von neun europäischen Datenzentren, die das Euclid-Konsortium zur Bewältigung der enormen Datenmenge eingerichtet hat. Das MPE-Datenzentrum betreibt einen Rechencluster mit 7000 Prozessoren. Ein Team aus sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie IT-Spezialisten unter Leitung von Max Fabricius entwickelt Analyse-Algorithmen und betreut die Hardware. Seit 2011 wurde die Rechnerinfrastruktur aufgebaut und die Software entwickelt, die sowohl orchestrierende Funktionen als auch wissenschaftliche Routinen umfasst.

Vergleich mit numerischen Simulationen

Bei der wissenschaftlichen Interpretation der Euclid-Daten spielt unsere Gruppe ebenfalls eine führende Rolle. Unsere Arbeit konzentriert sich darauf, spezielle Methoden und Algorithmen zu entwickeln, mit der sich die Verteilung der Galaxien im Universum mathematisch präzise beschreiben und analysieren lässt. Durch den Vergleich mit numerischen Simulationen zur Entwicklung des Universums, die ebenfalls im Rahmen des Euclid-Projekts erstellt werden, lassen sich hieraus die Eigenschaften von Dunkler Energie, Dunkler Materie und die Gesamtgeometrie des Universums mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen. Ariel Sanchez, einer der Hauptprojektleiter, koordiniert das Team, das für die Auswertung der von Euclid gemessenen Galaxienverteilung zuständig ist.

Die Bilder und Spektren von Euclid werden nicht nur neue Einsichten in die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie liefern, sondern bilden darüber hinaus einen Datenschatz, der für fast alle Felder der modernen Astrophysik von herausragender, lang anhaltender Bedeutung sein wird. Während umfangreichere Ergebnisse zu den dunklen Komponenten des Universums erst in einigen Jahren erwartet werden, ermöglichten die Daten der ersten Betriebsmonate bereits jetzt Publikationen auf anderen Feldern, etwa zu den Eigenschaften von Galaxien, Galaxienhaufen und schwarzen Löchern. Zu diesen Themen sind unter Federführung von MPE-Forschenden bereits jetzt mehrere Arbeiten, basierend auf den sogenannten Early Release Observations (ERO), veröffentlicht worden.

So wurden in einer von Matthias Kluge geführten MPE-Publikation [2] die ERO-Daten des Perseus Galaxienhaufens analysiert. Es gelang, das leuchtschwache Intrahaufen-Licht – also das Licht zwischen den Galaxien – in diesem System mit bisher nicht erreichter Genauigkeit zu vermessen. Insbesondere dank der hohen Sensitivität der Nahinfrarot-Aufnahmen, die erdgebundene Beobachtungen um Zehnerpotenzen an Sensitivität übertreffen, konnten die Eigenschaften der dem Intrahaufen-Licht zugrunde liegenden Sterne bis in die Außenbereiche des Perseus-Haufens analysiert werden.

Hochauflösende optische Bilder ermöglichten zudem die Detektion von 70.000 freifliegenden Kugelsternhaufen, deren Eigenschaften aufgrund des großen Himmelsbereichs erstmals statistisch ausgewertet werden konnten. Die Kombination der Infrarotfarben des Intrahaufen-Lichts mit der Helligkeitsverteilung der Kugelsternhaufen deutet darauf hin, dass das Intrahaufen-Licht zu einem großen Teil aus zerrissenen Zwerggalaxien besteht.

In einer weiteren MPE-geführten Publikation [3] wurde das Zentralgebiet der zweithellsten Galaxie im Perseus-Galaxienhaufen, NGC 1272, analysiert. Dank der hochaufgelösten Euclid ERO-Bilder konnten wir feststellen, dass der zentrale Bereich der Galaxie eine nahezu konstante Flächenhelligkeit aufweist. Diese Region wurde durch die Verschmelzung zweier supermassereicher schwarzer Löcher erzeugt (Mehrgan und Thomas, MPG-Jahrbuch 2020). Mit spektroskopischen Daten, die wir zusätzlich am Hobby-Eberly-Teleskop in Texas gewonnen haben, konnte die Masse des zentralen schwarzen Lochs in NGC 1272 zu erstaunlichen fünf Milliarden Sonnenmassen bestimmt werden. Mit Euclid planen wir eine systematische Suche nach ähnlichen, hypermassiven schwarzen Löchern in bis zu acht Milliarden Lichtjahren Entfernung.

Diese beiden Arbeiten, sowie mehrere weitere unter maßgeblicher Beteiligung von MPE-Forschenden, geben nur einen ersten Vorgeschmack auf die in nächster Zeit zu erwartenden Ergebnisse, die fast alle Bereiche der Astrophysik berühren dürften. In einigen Jahren ist dann schließlich auch mit hoffentlich bahnbrechenden neuen Einsichten in die Natur von Dunkler Materie und Dunkler Energie zu rechnen.

Literaturhinweise

Euclid Collaboration; Mellier, Y. et al. 
Euclid I: Overview of the Euclid Mission
https://arxiv.org/abs/2405.13491
Kluge, M. et al.
Euclid: Early Release Observations -- The intracluster light and intracluster globular clusters of the Perseus Cluster
https://arxiv.org/abs/2405.13503
Saglia, R. et al.
Euclid: The rb‑M* relation as a function of redshift: I. The 5 × 109 M black hole in NGC 1272
 
Astronomy & Astrophysics 692,124 (2024)
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