Was passiert in Galaxien zur kosmischen Mittagszeit?
Forschung der MPE-Wissenschaftlerin Natascha Förster Schreiber wird mit einem ERC Advanced Grant gefördert.
Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat heute die Gewinner seines Wettbewerbs für die Advanced Grants 2021 bekannt gegeben. Unter den europaweit geförderten Spitzenforschern ist auch MPE-Wissenschaftlerin Natascha Förster Schreiber für ihr Projekt GALPHYS zur Erforschung von Galaxien zur kosmischen Mittagszeit.
Über 85% des Alters unseres Kosmos haben Astronomen inzwischen eine recht gutes Bild fast aller Galaxien – bis zurück bis zu dem Zeitpunkt, als das Alter des Universums nur etwa 2 Milliarden Jahre betrug. Der Großteil der Sterne, die sich heute in massiven elliptischen und Spiralgalaxien befinden, bildete sich schnell, bis der Kosmos etwa 6 Milliarden Jahre alt war (oder bei Rotverschiebungen z~1-3) – eine Epoche, die oft als „kosmische Mittagszeit“ bezeichnet wird. Der größte Teil dieser Sternentstehung fand in massereichen, gasreichen, turbulenten Scheiben statt, in denen sogenannte Bulges hoher Dichte, schnell wachsende zentrale schwarze Löcher und galaktische Winde allgegenwärtig waren.
Die nächste Herausforderung besteht nun darin, die physikalischen Mechanismen im Inneren der Galaxien aufzudecken, die für die Sternentstehung und die Bildung der galaktischen Strukturen verantwortlich sind. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Bewegung und Verteilung des Gases auf räumlichen Skalen von 1 kpc oder weniger und mit Geschwindigkeiten von 10-20 km/s aufgelöst werden. Zur kosmischen Mittagszeit waren die Galaxien sehr gasreich, und dieses Gas fragmentiert in Bereiche auf kpc-Skalen, in denen Sterne entstehen – mindestens zehnmal größer als derartige Komplexe in heutigen Spiralgalaxien. Um Galaxien auf dieser fundamentalen Skala in einer Entfernung von 6 Milliarden Lichtjahren oder mehr (bei einer Rotverschiebung von z>1) zu untersuchen, benötigen Astrophysiker sehr leistungsfähige Instrumente, die viel schärfere Bilder liefern, als dies bisher der Fall war.
Wesentliche Verbesserungen bei der Empfindlichkeit und der Auflösung von Beobachtungen machen dies nun möglich: 2022 wird ERIS am VLT der ESO seinen Betrieb aufnehmen, der modernste Integralfeldspektrograph mit adaptiver Optik. Unter der Leitung der MPE-Wissenschaftlerin Natascha Förster Schreiber konzentriert sich das ERC-Projekt GALPHYS auf ein ehrgeiziges Beobachtungsprogramm mit ERIS, bei dem 90 Nächte mit garantierter Zeit genutzt werden. Darüber hinaus wird das Team wichtige Synergien mit den hochmodernen Millimeter-Interferometern IRAM/NOEMA und ALMA nutzen.
GALPHYS wird zum ersten Mal systematisch die Struktur, radiale Gasströmungen und gravitative Instabilitäten in den schnell wachsenden, massereichen, gasreichen Galaxien im jungen Universum untersuchen. Das Team wird mehrere der wichtigsten, noch offenen Fragen der Galaxienentwicklung direkt angehen: Wie werden Masse und Drehimpuls in frühen Scheiben effizient transportiert? Woher kommt die erhöhte Gasturbulenz? Was ist die Natur der riesigen Sternentstehungskomplexe und wie entwickeln sie sich? Welche Rolle spielen die Ausströmungen, die durch stellare und AGN-Rückkopplungen angetrieben werden? GALPHYS wird die Erforschung der Galaxienentwicklung auf eine neue Stufe heben.
Die Forschung von Natascha Förster Schreiber konzentriert sich auf die Eigenschaften und die Entwicklung von Galaxien. Bereits in ihrer Masterarbeit an der Université de Montréal untersuchte sie die Galaxie M82, und vertiefte ihre Beobachtungen der Starburst-Galaxie in ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Als Postdoc ging sie zum CEA Saclay, Frankreich, und zum Observatorium Leiden in den Niederlanden, bevor sie 2004 zum MPE zurückkehrte, um Studien zur Kinematik ferner Galaxien durchzuführen. Von 2008-2012 war sie Minerva Fellow der Max-Planck-Gesellschaft. Die University of Bath verlieh ihr 2019 den Ehrendoktortitel (Hon DSc).