„Die IMPRS muss sich vor den Graduiertenprogrammen der amerikanischen Elite-Universitäten nicht verstecken“

Interview mit Koordinator Prof. Dr. Werner Becker zum 20. Geburtstag der IMPRS on Astrophysics

6. Dezember 2021

Die International Max Planck Research School (IMPRS) on Astrophysics, an der das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) federführend beteiligt ist, feiert in diesem Jahr ihren 20. Geburtstag. Seit Anfang an mit dabei: Prof. Dr. Werner Becker, Wissenschaftler in der Abteilung „Hochenergie-Astrophysik“ am MPE und seit 2001 Koordinator der IMPRS on Astrophysics. Hier erinnert er sich an den Entstehungsprozess der IMPRS, erläutert den Unterschied in der Doktorandenausbildung von vor 20 Jahren und heute, und erklärt, warum ein Münchner Zahnarzt einmal eine saftige Rechnung an das MPE geschickt hat. 

Herr Becker, die IMPRS on Astrophysics feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Die eigentlichen Anfänge liegen indes noch einige weitere Jahre zurück. Was könnte man als den „Urknall“ der IMPRS bezeichnen? Was war die grundlegende Motivation für die Gründung?

Die Max Planck Research Schools sollten unter anderem eine engere Verzahnung zwischen Max-Planck-Instituten und Universitäten schaffen. Dazu muss man wissen, dass die Zusammenarbeit vieler Universitäten und Max-Planck-Institute, die sich zudem sogar oft an gleichen Standorten befinden, früher nicht immer optimal war. Dozenten der Unis, die zusätzlich zu ihrer Forschungstätigkeit noch Lehraufgaben wahrnehmen, blickten manchmal nicht ohne Neid auf die Kollegen in den MPIs, die, meistens gut finanziert, sich ausschließlich ihrer Forschungstätigkeit widmeten und dann am Ende – ohne etwas in die Ausbildung der Nachwuchswissenschaftler investiert zu haben – die erste Adresse für diese war.

War diese Sichtweise gerechtfertigt?

Da ich seit 2004 selber regelmäßig Vorlesungen an der LMU halte und weiß, wie zeitaufwendig das ist, kann ich zumindest den Standpunkt vieler Kolleginnen und Kollegen an den Universitäten sehr gut nachvollziehen. Die Universitäten waren über Jahrzehnte kategorisch finanziell unterversorgt. Es war daher eine wirklich gute Idee des damaligen Präsidenten Hubert Markl, sich an der Doktorandenausbildung zu beteiligen, und in Zusammenarbeit mit Universitäten die International Max Planck Research Schools ins Leben zu rufen. Gleichzeitig erreicht man durch die Internationalisierung eine weltweite Sichtbarkeit der Schools und der an ihr beteiligten Institute, Universitäten und Wissenschaftler.

Und Sie wurden Koordinator für die IMPRS on Astrophysics. Wie kamen Sie zu der Ehre?

Ich kam 1990 an das MPE und promovierte rund vier Jahre später über ein Thema aus der Neutronensternforschung mit dem Röntgensatelliten ROSAT. Anschließend war ich einige Jahre im ROSAT-Team und entwickelte Software zur Zeitanalyse der Röntgenphotonen. Anfang 1999 kam der damalige Geschäftsführende Direktor des Instituts, Joachim Trümper, auf mich zu und erzählte mir von den Plänen des MPE, sich gemeinsam mit dem Nachbarinstitut MPI für Astrophysik (MPA), der Europäischen Südsternwarte (ESO) sowie der Universitätssternwarte der LMU an einer Ausschreibung der Max-Planck-Gesellschaft für die Gründung einer International Max Planck Research School zu bewerben. Im Erfolgsfall versprach die Gesellschaft aus ihrem Haushalt die Anschubfinanzierung dieser Research School für zunächst sechs Jahre sowie zusätzliche Fördermittel für Doktorandenstellen und die Stelle des Koordinators. Das Ganze sollte – nach dem Vorbild amerikanischer Graduate Schools – der Beginn der International Max Planck Research School on Astrophysics at the Ludwig Maximilians University werden. Joachim Trümper fragte mich, ob ich mich dafür nicht engagieren wolle.

Und das wollten Sie?

Ja, denn ein wesentlicher Aspekt war die Ausbildung von Doktoranden, und das passte zu meinem generellen Vorhaben, mich zu habilitieren und die Lehrbefugnis zu erlangen, um mein Wissen an junge Studierende der Astrophysik weitergeben zu können. Dass die Vorlesungen aber letztlich nur einen kleinen Teil ausmachten und ich stattdessen die gesamte Koordination der IMPRS übernehmen würde, hätte ich anfangs nicht unbedingt erwartet (lacht).

Gut, dass Sie nach einigen Jahren zumindest von einer Assistentin unterstützt wurden…

Richtig, ab 2011 erhielt ich tatkräftige Hilfe von Veronika Schubert, seit 2017 übernimmt Annette Hilbert diese Aufgabe. Und, das muss ich an dieser Stelle wirklich einmal sagen, ohne das überaus große Engagement von Frau Schubert und nun Frau Hilbert würde die IMPRS so nicht funktionieren. Darüber hinaus tragen natürlich auch die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus den teilnehmenden Instituten, die sich an den Vorlesungen für die Promovierenden beteiligen und ihr Wissen weitergeben, ganz entscheidend zum Gelingen der IMPRS bei – ebenso wie Annegret Lorf, die sich seitens der Max-Planck-Gesellschaft mit viel Herzblut für die Research Schools engagiert.

Wie stampft man eine komplett neue Graduiertenschule aus dem Boden?

Das verlangt in der Tat viel Improvisation, denn am Anfang gab es natürlich keinerlei Blaupausen, keine Website, keine Texte oder gar eine einheitliche Emailadresse. Das musste alles erst entwickelt werden. Da ich nie selbst eine Graduiertenschule besucht hatte, machte ich mich erst mal schlau und sah mir die Struktur und Organisation der Doktorandenprogramme in den USA und Großbritannien an.

Glücklicherweise wurde ja nicht nur eine IMPRS ins Leben gerufen…

Richtig. Sehr Hilfreich war natürlich, dass zeitgleich mit unserer IMPRS on Astrophysics noch rund ein Dutzend weiterer IMPRS gegründet wurden, die allesamt vor den gleichen Problemen und Herausforderungen standen. Der gegenseitige Austausch hat extrem geholfen, ein besonderer Dank muss hier auch Frau Nicola von Hammerstein von der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft gelten, die gerade in den ersten Jahren ganz entscheidend zum Erfolg der IMPRS beigetragen hat und nicht zu Unrecht von allen Koordinatoren als „Mutter der IMPRS“ betrachtet wurde.

Wie wird die IMPRS on Astrophysics finanziert?

Wie bei allen anderen IMPRS kommt auch das Geld für unsere IMPRS aus Eigenmitteln der an der IMPRS beteiligten Einrichtungen sowie der Max-Planck-Gesellschaft. Eine Bewilligung gilt dabei stets für sechs Jahre, wobei nach vier Jahren eine Evaluation durch ein externes, internationales Komitee durchgeführt wird – ähnlich der Prüfung durch den Fachbeirat, der sich die Max-Planck-Institute alle paar Jahre unterziehen müssen. Und wie beim Fachbeirat müssen auch hier Rechenschaftsberichte vorgelegt werden, dazu stellen die Doktoranden ihre Forschungsthemen und Ergebnisse in Vorträgen und bei einer Poster-Session vor.

Wo sehen Sie die größten Vorteile für Doktoranden?

Vor 20 Jahren war man als Student typischerweise Einzelkämpfer. Zu meiner Zeit promovierten rund 30 Doktoranden am Institut, von denen jeder sein Forschungsthema verfolgte, ohne dabei großartig „nach links oder rechts zu schauen“. Daneben wurden nur selten gemeinsame Aktivitäten oder Ausflüge organisiert, und es gab auch keine gemeinsamen Vorlesungen am Institut; das fand alles an den Universitäten statt.

Und heute?

Heute sehen sich die Doktoranden als eine gemeinsame Einheit, die dadurch als Gruppe ein viel stärkeres Gewicht an den Instituten innehaben. Exemplarisch verweise ich hier auf das Executive Committee der IMPRS, in dem neben Vertretern der an der IMPRS teilnehmenden Instituten auch Doktorandinnen und Doktoranden aus jedem Jahrgang sitzen und sich aktiv für die Belange des wissenschaftlichen Nachwuchses einsetzen.

Eine tolle Errungenschaft ist auch das zweimal jährlich stattfindende Studenten-Symposium, das die Doktoranden selbst organisieren. Dort lernen sie, wissenschaftliche Vorträge zu halten, sie bekommen Einblick in die Arbeit ihrer Kommilitonen und entdecken somit womöglich neue Lösungsansätze für ihre eigenen Herausforderungen. Sie unterstützen sich gegenseitig, erzeugen neue Synergieeffekte und kreieren, auch dank regelmäßiger gemeinsamer Aktivitäten wie Ausflüge, Partys oder Biergartenbesuche, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie ein Leben lang verbindet – miteinander, aber auch mit den Instituten. Das ist das große Verdienst der IMPRS.

In 20 Jahren als IMPRS-Koordinator erlebt man vermutlich auch allerhand Kurioses. Da gibt es sicher manche Geschichten zu erzählen, oder?

Spontan fallen mir zwei Geschichten ein: Auf ProSieben lief einmal eine Reality-Show, bei der man sich einer Schönheitsoperation unterziehen konnte, unter anderem bei einem Zahnarzt oder Kieferorthopäden aus München. Eine oder einer unserer damaligen Doktoranden hat davon erfahren, sah offensichtlich Bedarf, und ging zu dem besagten Star-Zahnarzt – fest im Glauben, der Eingriff werde von der Krankenversicherung bezahlt.

Doch das war nicht der Fall?

Nein, da gab es wohl irgendein Missverständnis. Jedenfalls flatterte bei uns am Institut dann irgendwann eine Mahnung des Zahnarztes in Höhe von mehreren Tausend Euro ins Haus. Die betroffene Person beharrte aber darauf, dass die Kosten von der Krankenversicherung übernommen werden müssen. Bei dieser handelte es sich jedoch um die günstigste aller möglichen privaten Krankenversicherungen, die so gut wie gar keine Kosten für irgendetwas übernahm. Wie die Sache letztendlich ausging kann ich nicht sagen, denn wir am MPE weigerten uns natürlich zurecht, die Rechnung zu begleichen. Ich weiß nur, dass die Person das MPE schließlich verließ. Ich schätze, der Zahnarzt blieb auf den Kosten sitzen.

Und die zweite Anekdote?

Da ging es um eine Doktorandin oder einen Doktorand. Einige Wochen nachdem die Person die Arbeit bei uns aufgenommen hatte, stand ein Kollege bei mir im Zimmer und fragte, was der junge Mensch denn so Aufwendiges mache, seit Tagen würde die gesamte Leistung des zentralen Computers beansprucht, so dass sich auf seinem Bildschirm nicht mal mehr der Cursor bewege. Schließlich stellte sich heraus, dass die betroffene Person die Zugangsdaten für den Institutsrechner an den ehemaligen Diplomarbeitsbetreuer weitergegeben hatte, der von dort aus unsere Rechenleistung nutzte, um für seine eigene Forschungen komplexe Simulationen durchzuführen. Das war schon verrückt (lacht).

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Direkt gegenüber des MPE entsteht im Moment das neue Institutsgebäude des MPI für Physik (MPP), der Umzug nach Garching ist für Ende 2022 geplant. Gibt es Überlegungen, mittelfristig auch das MPP in die IMPRS on Astrophysics mit ein zu binden?

Ob das MPI für Physik fester Partner unserer IMPRS wird, glaube ich eher nicht, vor allem da das Institut mit der IMPRS on Elementary Particle Physics bereits mit einer eigenen Graduiertenschule mit den thematisch verwandten Gruppen an der LMU und der TUM zusammenarbeitet. Es ist aber durchaus so, dass es bereits seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit beider Research Schools gibt. Beispielsweise können auch Doktorandinnen und Doktoranden des Werner-Heisenberg-Instituts für Physik an unseren Vorlesungen teilnehmen, und umgekehrt. Auch Ausflüge und Exkursionen werden zunehmend gemeinsam geplant. Durch die zukünftige räumliche Nähe wird die Zusammenarbeit zwischen den Instituten mit Sicherheit noch intensiviert, sodass der Umzug neue Synergieeffekte erzeugen wird, von denen – davon bin ich fest überzeugt – alle Beteiligten nur profitieren können!

Wie lautet Ihr Fazit und wie sehen Sie die Zukunft der IMPRS? Aktuell wird die IMPRS bis 2025 finanziert.

Ich hoffe, dass die Max-Planck-Gesellschaft auch weiterhin den Nutzen der IMPRS erkennt und die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt. Die Kosten sind meines Erachtens für die MPG relativ überschaubar, der Erfolg dagegen außerordentlich: 350 Doktorandinnen und Doktoranden haben bisher an der IMPRS on Astrophysics promoviert, viele von ihnen haben anschließend eine sehr erfolgreiche wissenschaftliche Karriere hingelegt, manche mittlerweile eine Professorenstelle erreicht. Für die rund 25 Promotionsstellen, die wir im Durchschnitt vergeben, erhalten wir jährlich mehrere Hundert Bewerbungen. Insgesamt haben sich bisher mehr als 4250 Studierende aus 103 Ländern für eine Promotionsstelle beworben, was den internationalen Charakter unserer IMPRS deutlich unterstreicht. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass unser Konzept inzwischen vielfach von Forschungsinstituten in anderen europäischen Nachbarländern übernommen wird, zeigt, dass mit den IMPRS eine wirklich bahnbrechende Institution geschaffen wurde – die sich vor den Graduiertenprogrammen der amerikanischen Elite-Universitäten keineswegs verstecken muss! Ganz im Gegenteil. Unsere IMPRS mit um die 100 Promovierenden gehört inzwischen zu den größten Graduate Schools auf dem Gebiet der Astrophysik weltweit.

Das Interview führte Tobias Herrmann

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